Bei der Suche nach dem Begriff der Exponentialität kommt man sehr schnell in die Verlegenheit, sich mit mathematischen Formeln auseinandersetzen zu müssen. Das soll hier nicht gefordert werden. Es bleibt aber unerlässlich zu erklären, dass der Exponent den Wert symbolisiert, den man als Hochzahl bezeichnet.

Im Falle von 23 bezeichnet man 2 als die Basis und 3 als den Exponenten. Dieses Beispiel könnte auch 2 x 2 x 2 geschrieben werden und ergibt 8. Damit ist es auch schon fast geschafft. Diese Darstellung soll darauf verweisen, dass mittels der Exponentialität besondere Entwicklungen bezüglich Wachstum oder Zerfall – d.h. exponentielle Zunahme oder exponentielle Abnahme beschrieben werden können. Gemessen jeweils von einem Schritt zum nächsten.

Diese Art von Wachstum ist im Gegensatz zu linearem Wachstum für menschliche Beobachter nicht zu erfassen, nicht einschätzbar – man sagt auch kontra-intuitiv. Diesen Begriff des Kontra-intuitiven liefert schon die antike Geschichte der phönizischen Prinzessin Dido, die in Nordafrika die Festung Byrsa gegründet hatte = später Karthago, nachdem sie vom dortigen König so viel Land erbeten hatte, wie sich mit einer Rinderhaut umspannen ließ. Der König gewährte ihr diesen Wunsch mit einem Lächeln, denn er rechnete nicht damit, dass Dido die Rinderhaut in schmale Streifen schneiden und damit ein großes Stück Land abstecken würde. (Hunger, 1984)

Noch eindringlicher für den Begriff des Exponentiellen ist eine mit dem Schachspiel verbundene Geschichte, die aus dem arabischen Raum stammt, auch, wenn sie sich in Indien ereignet haben soll. Ein tyrannischer indischer Herrscher ließ sich vom Erfinder des Schachspiels, einem Brahmanen, in den Regeln dieses Spiels unterweisen. Er fand an dem Unterricht und an dem Spiel Gefallen und wollte seinem Lehrer, dem Brahmanen, einen Wunsch erfüllen. Dieser wünschte sich ein Weizenkorn (in manchen Überlieferungen wird von Reiskörnern gesprochen) auf das erste Feld, zwei auf das zweite Feld und danach jeweils die doppelte Menge Weizenkörner auf das nächste Feld. Bei 64 Feldern ergibt diese Rechnung eine Menge von 264-1 oder 18.446.744.073.709.551.615 Weizenkörner (≈ 18,45 Trillionen). (Lindörfer, 1991, S 311) Eine Menge an Weizen, welche die weltweite Jahresernte von 2019/20 um fast das 1000-fache übersteigt. (Ahrens, 2020)

Man muss allerdings nicht so weit zurückblicken, denn wohl alle die in unseren Breiten die Schule besucht haben, wurden mit der Zinseszinsrechnung konfrontiert, die uns einen Einblick in die Vorstellung gibt, um die es bei der Exponentialität geht. Der Unterschied zu exponentiellen Entwicklungen, wie wir sie heute in der Realität der Netzwerke und der Digitalisierung erleben, ist jedoch auch klar zu bezeichnen. Bei der Berechnung von Zinseszins sind die Exponenten sehr gering anzusetzen. Wenn jemand heute 2,5 % an Zinsen lukrieren kann, so schreibt man dies mit einem Exponenten an wie folgt: 2,5×10-2. Also der Exponent wäre nicht 2, wie beim Schachspiel, sondern 0,025 – eben 2,5 %. Im Gegensatz dazu sind angestrebte Wachstumsraten im Kontext von Digitalisierung und Netzwerken um ein Vielfaches höher.

Im Umfeld von Start-ups ist Exponentialität ein viel beachtetes Thema, denn alle Unternehmensideen beruhen darauf, das Geschäftsmodell vervielfältigen zu können – und dies möglichst exponentiell. Sucht man nach Unterstützung solcher Ideen, so wird man mit Titeln wie „Exponentielle Innovation“ (Samuels, 2019) fündig. Was nicht bedeutet, dass ein exponentielles Geschäftsmodell auch umsetzbar ist. Es soll hier nur darauf hingewiesen werden, dass diese Art des Wachstums gewünscht ist. Die kontra-intuitive Eigenschaft von Exponentialität bringt allerdings mit sich, dass, wie schon beim Begriff der Emergenz erwähnt, darauf einen Plan aufzubauen, mehr als risikoreich ist. Eine unternehmerisch nachhaltige Kalkulation wird so ziemlich unmöglich.

Diese Tatsache ist nicht neu. So hat im Jahr 2000 mit dem Platzen der sogenannten Dotcom-Blase eine erste Marktbereinigung im Rahmen der damals als New-Economy bezeichneten Internet Unternehmen stattgefunden. Auch in der Zeit danach sind immer wieder Unternehmen zu finden, deren Wachstumsfantasien nicht nachhaltig genug waren, um ein dauerhaftes Geschäftsmodell zu entwickeln.

Auf der anderen Seite haben auf Basis von Netzwerken, den darauf aufbauenden Theorien und den sozialen Effekten, im digitalen Bereich Entwicklungen stattgefunden, die sich als äußerst erfolgreich darstellen lassen. Auch dadurch rückt der Begriff der Exponentialität zunehmend in den Fokus. Wurde der Blick für ein derartiges Wachstum einmal gestärkt, stellt man fest, dass jetzt – in den ersten Jahrzehnten des 2. Jahrtausends unserer Zeitrechnung – mehrere Entwicklungskurven an Beschleunigung zu gewinnen scheinen.