Editorial
Die seit Februar 2020 in Europa präsente Covid-19 Pandemie hat den folgenden Gedanken einen besonderen Aspekt hinzugefügt. Digitale Überwachung von Infizierten und/oder Teilen der Bevölkerung findet plötzlich Befürworter, die dies auch offen kundtun. Auch schon vor der Pandemie haben manche vielleicht von Überwachung und Gesichtserkennung geträumt, mit einer Akzeptanz in der Bevökerung konnten sie allerdings nicht rechnen – dies ändert sich möglicherweise im Angesicht der Gefahr durch das Virus.
Dies ist der gleichsam der “Wink mit dem Zaunpfahl” und die Aufforderung, einen Diskurs zu beginnen, der helfen kann, die Pandemie besser zu überstehen und das Verhältnis von Digitalisierung und Globalisierung auf eine neue Basis zu stellen. Die Aufforderung eine positive Grundlage für die neue Normalität des Lebens nach der Pandemie proaktiv zu gestalten.
Die Theorien von Systemen, deren Strukturen, Netzwerken, Komplexität, Emergenz begleiten mich seit mehr als einem Jahrzehnt. Zuvor war ich mit vielen Jahren Erfahrung in der IT / früher EDV ab 1994 einer der Protagonisten des (frühen) Internet gewesen und damit einer der Vorreiter der Digitalisierung in Österreich. Ich habe also die Praxis lange vor der Theorie kennengelernt. Umso mehr beschäftigt mich die praktische Umsetzung von Aspekten der Digitalisierung im Einklang mit theoretischen Grundlagen. Dies nachzuvollziehen ist nicht immer einfach, vor allem da sich Gesellschaften durch Digitalisierung und Globalisierung in doppeltem Maße verändern. Die mittels komplexer Systeme erforschbaren Prinzipien lassen sich aus dem Blickwinkel des Theoretikers in der realen Welt identifizieren – die Intention, diese Vorgänge zu gestalten und gewissen Regeln zu unterwerfen, ist jedoch mit größten Herausforderungen gepaart.
Für viele Insider/innen und Wissenschafter/innen ist die gleichzeitige und sich gegenseitig beschleunigende Entwicklung von Digitalisierung und Globalisierung der Anlass für kritische Reflexion. So haben 9* Wissenschafter/innen zum Jahreswechsel 2015/2016 ein digitales Manifest veröffentlicht, in dem sie auf mögliche Entwicklungen im Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung vielfältiger gesellschaftlicher Aspekte Bezug nehmen. Die dabei angesprochenen Themen betreffen maßgebliche Errungenschaften der westlichen demokratisch orientierten Gesellschaften und malen ein zum Teil sehr düsteres Bild für die Zukunft.
Es erscheint unerlässlich, sowohl die positiven als auch mögliche negative Entwicklungen der Digitalisierung zu benennen und damit im Zusammenhang stehende Auswirkungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. In der aktuellen Diskussion vorherrschende Positionen vertreten in der Regel eine ins Positive übersteigerte Sichtweise der wirtschaftlichen und persönlichen Vorteile, die jeder Bürgerin und jedem Bürger in Gesellschaften erwachsen, die digitale Notwendigkeiten erfolgreich umsetzen – oder im Gegensatz vor gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung warnen und eine Dystopie entwerfen, die George Orwell – 1984 in den Schatten stellt.
Was die Zukunft gebracht haben wird ;-), können wir mit Sicherheit nur aus der betrachtenden Rückschau beschreiben, sobald die heutige Zukunft zu unserer Vergangenheit geworden ist – man kann somit annehmen, dass beide genannten Einschätzungen der extrem beschriebenen Positionen nicht so eintreten werden, wie sie sich uns heute darstellen. Komplexe Phänomene, wie die Digitalisierung eines darstellt, haben jedoch die Eigenschaft, exponentielle Entwicklungen zur Folge zu haben. Dies bedeutet, dass sowohl positive als auch negative Folgen der Digitalisierung zu herausfordernden Veränderungen unserer Gesellschaften führen werden.
In der Zwischenzeit wurden die Themen dieses Manifests weitergeführt und um kritische – im philosophischen Sinn – Kommentare und Antworten erweitert. (Carsten Könneker: Unsere digitale Zukunft: In welcher Welt wollen wir leben? – German Edition – Springer 2017)
* Dirk Helbing, Bruno S. Frey, Gerd Gigerenzer, Ernst Hafen, Michael Hagner, Yvonne Hofstetter, Jeroen van den Hoven, Roberto V. Zicari, Andrej Zwitter
Die in diesem Manifest enthaltene Aufforderung, Auseinandersetzungen mit diesen spezifischen Themen und einen damit in Zusammenhang stehenden Dialog in die Gesellschaft hineinzutragen, habe ich und werde ich in Zukunft mit unterschiedlichen Aktivitäten unterstützen. Diese Website und die hierin dargestellten Überlegungen, Auswertungen und Projekte sind ein Teil davon.
Wegen der veränderten Situation durch die Covid-19 Pandemie wurden die Posts zur Digitalisierung auf die aus meiner Sicht wichtigsten Beiträge reduziert. Die aktuelle Situation verlangt eine Durchforstung und zum Teil Neubewertung mancher Aspekte 🙂

Wien/Bad Aussee 2016 – 2020
Mag. Dr. Walter Karban