Editorial
Die von Februar 2020 bis 2022 weltweit präsente Covid-19 Pandemie** hat den folgenden Gedanken einen besonderen Aspekt hinzugefügt. Digitale Überwachung von Infizierten und/oder Teilen der Bevölkerung findet nach wie vor Befürworter, die dies auch offen kundtun. Auch schon vor der Pandemie haben manche vielleicht von Überwachung und Gesichtserkennung geträumt, mit einer Akzeptanz in der Bevökerung konnten sie allerdings nicht rechnen – dies ändert sich möglicherweise im Angesicht der Gefahr durch das Virus.
Dies ist der gleichsam der „Wink mit dem Zaunpfahl“ und die Aufforderung, einen Diskurs zu beginnen, der helfen kann, die Pandemie besser zu überstehen und das Verhältnis von Digitalisierung und Globalisierung auf eine neue Basis zu stellen. Die Aufforderung eine positive Grundlage für die neue Normalität des Lebens nach der Pandemie proaktiv zu gestalten.Diskussionen bezüglich KI und deren Einsatz und Möglichkeiten begannen seit Ende 2022 Szenarien der Zukunft zu dominieren. Bemerkenswert dabei ist, dass der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Sichtweise unter KI-Entwicklern sehr weit verbreitet scheint. Dies äußert sich in vielen Diskussionen zum Thema KI und manifestiert sich in Behauptungen, dass AGI – artificial general intelligence = Systeme, die menschliche Eigenschaften hätten oder sogar übertreffen würden – in nächster Zukunft zu erwarten sei. Betrachtet man das Streben von Menschen nach Macht und Einfluss, so kann einem schon der Gedanke kommen, dass es besser wäre, solche Systeme nicht zu entwickeln. Umso wichtiger scheint es aufgrund dieser Tatsache zu sein, ethische Richtlinien für die Gestaltung und den Umgang mit KI-Systemen zu entwickeln.
** auch wenn das Pandemie-Gespenst vorerst gebannt erscheint, so zeigen uns aktuelle Nachrichten, dass es auf der Erde für uns Menschen jede Menge Herausforderungen gibt, die nahe und ferne Zukunft positiv zu gestalten. Dabei können Digitalisierung und KI durchaus helfen – diese Tatsache aber als Allheilmittel einzuschätzen kann dazu führen, nachhaltige Lösungen mit weitaus größeren Problemen zu verhindern. Womit wir wieder bei einer Frage angelangt wären, die schon zu Beginn gestellt wurde: „Was also tun?„
Die globale Vernetzung hat vor mehr als zwei Jahrzehnten große Freiheiten für individuelle und ökonomische Entfaltung versprochen und sich angeschickt, die Welt der Kommunikation und Information zu revolutionieren. Eine kritische Betrachtung der Entwicklungen seit damals lässt jedoch vermuten, dass ein Trend entstanden ist, der die versprochenen Freiheiten der Netzwerke paradoxer Weise ins Gegenteil verkehrt. Die Welt der Kommunikation und Information hat sich maßgeblich verändert und kämpft um Glaubwürdigkeit.
Freigedacht.at nennt Prinzipien und Gründe, die diese Sichtweise bestärken, sowie mögliche Ansätze, die Vernetzung der Welt zum Positiven zu wenden. Gedacht als Beitrag zu einem zu führenden Diskurs.
Viele philosophische Betrachtungen, Fragestellungen und Probleme, die im Laufe von mehreren tausend Jahren Menschen auf ihrem Weg begleitet haben, lassen sich auch auf die moderne Welt anwenden. Die sich rasant verändernde Welt trifft auf das Wesen Mensch, das sich seit jeher dieselben Fragen stellt.
Die Theorien von Systemen, deren Strukturen, Netzwerken, Komplexität, Emergenz begleiten mich seit nunmehr zwei Jahrzehnten. Zuvor war ich mit vielen Jahren Erfahrung in der IT / früher EDV ab 1994 einer der Protagonisten des (frühen) Internet gewesen und damit einer der Vorreiter der Digitalisierung in Österreich. Ich habe also die Praxis lange vor der Theorie kennengelernt. Umso mehr beschäftigt mich die praktische Umsetzung von Aspekten der Digitalisierung im Einklang mit theoretischen Grundlagen. Dies nachzuvollziehen ist nicht immer einfach, vor allem da sich Gesellschaften durch Digitalisierung und Globalisierung in doppeltem Maße verändern. Die mittels komplexer Systeme erforschbaren Prinzipien lassen sich aus dem Blickwinkel des Theoretikers in der realen Welt identifizieren – die Intention, diese Vorgänge zu gestalten und gewissen Regeln zu unterwerfen, ist jedoch mit größten Herausforderungen gepaart.
Für viele Insider/innen und Wissenschafter/innen ist die gleichzeitige und sich gegenseitig beschleunigende Entwicklung von Digitalisierung und Globalisierung der Anlass für kritische Reflexion. So haben 9* Wissenschafter/innen zum Jahreswechsel 2015/2016 ein digitales Manifest veröffentlicht, in dem sie auf mögliche Entwicklungen im Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung vielfältiger gesellschaftlicher Aspekte Bezug nehmen. Die dabei angesprochenen Themen betreffen maßgebliche Errungenschaften der westlichen demokratisch orientierten Gesellschaften und malen ein zum Teil sehr düsteres Bild für die Zukunft.
Es erscheint unerlässlich, sowohl die positiven als auch mögliche negative Entwicklungen der Digitalisierung zu benennen und damit im Zusammenhang stehende Auswirkungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. In der aktuellen Diskussion vorherrschende Positionen vertreten in der Regel eine ins Positive übersteigerte Sichtweise der wirtschaftlichen und persönlichen Vorteile, die jeder Bürgerin und jedem Bürger in Gesellschaften erwachsen, die digitale Notwendigkeiten erfolgreich umsetzen – oder im Gegensatz vor gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung warnen und eine Dystopie entwerfen, die George Orwell – 1984 in den Schatten stellt.
Was die Zukunft gebracht haben wird ;-), können wir mit Sicherheit nur aus der betrachtenden Rückschau beschreiben, sobald die heutige Zukunft zu unserer Vergangenheit geworden ist – man kann somit annehmen, dass beide genannten Einschätzungen der extrem beschriebenen Positionen nicht so eintreten werden, wie sie sich uns heute darstellen. Komplexe Phänomene, wie die Digitalisierung eines darstellt, haben jedoch die Eigenschaft, exponentielle Entwicklungen zur Folge zu haben. Dies bedeutet, dass sowohl positive als auch negative Folgen der Digitalisierung zu herausfordernden Veränderungen unserer Gesellschaften führen werden.
In der Zwischenzeit wurden die Themen dieses Manifests weitergeführt und um kritische – im philosophischen Sinn – Kommentare und Antworten erweitert. (Carsten Könneker: Unsere digitale Zukunft: In welcher Welt wollen wir leben? – German Edition – Springer 2017)
* Dirk Helbing, Bruno S. Frey, Gerd Gigerenzer, Ernst Hafen, Michael Hagner, Yvonne Hofstetter, Jeroen van den Hoven, Roberto V. Zicari, Andrej Zwitter
Die in diesem Manifest enthaltene Aufforderung, Auseinandersetzungen mit diesen spezifischen Themen und einen damit in Zusammenhang stehenden Dialog in die Gesellschaft hineinzutragen, habe ich und werde ich in Zukunft mit unterschiedlichen Aktivitäten unterstützen. Diese Website und die hierin dargestellten Überlegungen, Auswertungen und Projekte sind ein Teil davon.
Wien/Bad Aussee 2016 – 2023
Mag. Dr. Walter Karban