Eine Welt ohne Exponentialität scheint mit Blick auf die Vergangenheit nicht möglich. Zu viele technische Lösungen haben in der Geschichte der Menschheit geholfen, anstehende Probleme zu lösen – und haben damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass genau diese neuen Lösungen vermehrt beim Auftreten neuer Probleme zuerst angewendet werden.

Außerdem ist Exponentialität nicht etwas, was erst mit der Spezies Mensch in diese Welt gekommen ist. Es ist ein Prozess, der von Menschen in dieser Welt beobachtet und als etwas beschrieben wurde, das sich in ungeheurem Ausmaß verändert, sodass man sich keine Vorstellung davon machen kann.

Man kann allerdings auch in der Natur beobachten, dass solche Tendenzen an einen Punkt gelangen, an dem das bis dahin vorhandene Gleichgewicht zwischen sich exponentiell entwickelndem System und Umwelt nicht mehr länger aufrechterhalten werden kann. Die Tendenz bricht ab und kehrt sich um. Ein ähnliches Phänomen tritt auf, wie man es auch beim Start der exponentiellen Entwicklung beobachten kann – ein tipping point = Umkehrpunkt. Solche Trends zu erkennen ist ein strukturbedingtes Phänomen und ist vergleichbar mit dem Prinzip, das bei dem Erkennen von Emergenz auftritt.

Jedes Aufkommen eines neuen Trends bedeutet gleichzeitig das Ende eines anderen Trends, der offensichtlich seinen Zenit überschritten hat. Wovon hängen dann die Auswirkungen ab, die diese Veränderungen für Gesellschaft und Menschen in ihrem täglichen Tun bewirken? Gibt es eine Möglichkeit, solche Trends und Entwicklungen abzuschwächen? Dies scheint nicht eine Frage des ob, sondern des wie zu sein. Die Netzwerktheorie zeigt, wie sich skalenfreie Systeme = Netzwerke entwickeln. Sie lässt erkennen, dass die Größe der einzelnen Systeme von essenzieller Bedeutung für das Ausmaß der Skalenfreiheit darstellt. Je größer die Anzahl von Elementen in einem System = Knoten in einem Netzwerk, desto größer die Unterschiede der Wertigkeiten.

Wenige sehr gut verlinkte Knoten stehen sehr vielen weniger verlinkten Knoten gegenüber. Jeder Knoten versucht, möglichst viele Links zu anderen Knoten zu erreichen, um damit seine Relevanz zu stärken. Ein Spiel, das sich in unzähligen Szenarien der Gegenwart spiegelt, meist gestützt durch tatsächliche Aktivitäten im Netz und damit zusätzlich technischem KnowHow verbunden. Die Definition von wirklich erfolgreichen Knoten = Systemelementen / Unternehmen / Influencern / Menschen hängt maßgeblich von der Anzahl der im Netzwerk vorhandenen Knoten ab. Je größer das Netzwerk, desto größer der Erfolg der Hubs – desto größer die Zahl der nicht erfolgreichen Elemente, welche die Basis des Erfolgs von Hubs darstellen.

The Rich get Richer“ (Barabasi, 2003, S 79) wurde schon erwähnt. Dies bedeutet, dass der Unterschied zwischen Reich und Arm mit der Größe des Systems korreliert, in dem diese Betrachtungen getätigt werden. Nachdem die Reichen ihren Reichtum weiter steigern wollen, muss die Zahl der für das System notwendigen Elemente so lange exponentiell steigen, bis das System die Fähigkeit der Umwelt überfordert, das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. In einer Welt, in der solche Szenarien einander abwechselnder Tendenzen möglichst geringe Auswirkungen zeitigen sollen, wäre es erforderlich, die maßgeblichen Systeme = Netzwerke möglichst klein zu halten. Das bedeutet, dass die weiter oben angesprochene Ausrichtung auf regionale Gegebenheiten im Prinzip von Vorteil ist. Bedingung dabei muss aber sein, Kooperation und Kommunikation mit der Umwelt in einem gleichberechtigten Diskurs zu sichern. Gerade diese notwendige Bedingung wird – besonders im politischen Kontext – stark vernachlässigt und zum Teil ziemlich erratisch gehandhabt. Es ergibt sich somit, dass überbordender Erfolg einerseits als nachahmenswert erscheint – siehe die angesprochene Start-up Kultur – andererseits die Grundlage für das Erreichen eines tipping points darstellt, da dadurch nötige Gleichgewichte gestört werden.

Dies erinnert an das Problem des Mittelwegs, wie bereits Aristoteles es formuliert hat. Er stellt nämlich fest, dass sowohl Übermaß als auch Mangel das Werk zerstören, die Mittelmäßigkeit aber dazu angetan ist, es zu erhalten. (Aristoteles, 1975, II 1106b10f)

Daraus ergibt sich die paradoxe Situation (siehe: das Paradox des Erfolgs), dass das Denken in entweder – oder zu dem Problem zeitlich nicht einschätzbarer Umschläge führt, die immer wieder neue Adaptionsschritte erfordern.