Menschen sind durch die beschriebene Autopoiesis, fachlich, kulturell und individuell an die eigenen Strukturen gebunden. So entwickeln Gruppen, die sich im Umfeld der innerhalb der letzten Jahrzehnte neu gebildeten Struk- turen der Digitalisierung bewegen, eigene Probleme und dafür passende Lösungsansätze aufgrund der Beobachtungen, die sie anstellen. Es scheint nachvollziehbar, dass eine Beobachtung, die von einer Gruppe in einem Teil der Welt gemacht wird, nicht zwingend für alle anderen Gruppen auf der Welt gültig sein muss. Außer es entsteht auf Basis wirtschaftlicher oder netzwerktheoretischer Überlegungen ein gewisses Verlangen nach Konfor- mität. Um eine solche Konformität zu erreichen, könnte man im Zusammenhang mit Digitalisierung und der Anwendung von künstlicher Intelligenz die Ideen verfolgen, die notwendigen Beobachtungen in erster Linie von Automaten, Computern und Robots durchführen zu lassen, doch dies ist zu kurz gedacht. Die Zielsetzung, der maßgeblichen Bestimmung gerade beim Einsatz von künstlicher Intelligenz, wird im ersten Schritt immer durch Initiativen gesetzt, die Interessen und Zielen von – manchmal einigen wenigen Menschen folgen.

Ein Phänomen, das mit der Schaffung neuer Technologien und Werkzeuge auftritt, zeigt, dass sich die Kreativität und mögliche Probleme auf die Themenbereiche konzentrieren, die mittels dieser neuen Technologie zu lösen sind. Dies ist nicht neu, sondern zieht sich durch die Geschichte der Menschheit. Werkzeuge – es kann nicht oft genug betont werden, dass Computer und Algorithmen als Werkzeuge zur Lösung von Problemen gesehen werden sollten – haben es an sich, dass sie Wahrscheinlichkeiten im Zusammenhang mit der Kompetenz Probleme zu lösen, verändern.

Als Beispiel sei auf ein Werkzeug verwiesen, dass sonst wohl kaum im Zusammenhang mit Technologie und Digitalisierung erwähnt wird. Es geht um einen Hammer. Stellt man sich vor, dass vor der Erfindung des Hammers diverse Stifte mit Steinen oder anderen harten Gegenständen eingeschlagen wurden, so war diese Tätigkeit wohl ziemlich mühsam. Mit einem Hammer als Werkzeug war das Einschlagen von Stiften und Nägeln zu einer Tätigkeit ohne die bis dahin erforderliche, aber doch erhebliche Mühsal geworden. Die Wahrscheinlichkeit, weiter einen Stein für diese Arbeit zu nutzen, tendierte zu null. Gleichzeitig war die menschliche Kreativität darauf ausgerichtet, diesen Hammer, dessen Produktion mit Aufwand verbunden gewesen war, möglichst oft zur Lösung von Problemen einzusetzen. Manchmal wurde ein Hammer wohl auch zu Dingen genutzt, die nicht im Sinne der ursprünglichen Erfindung waren. (Füllsack, 2007) Dieses Prinzip lässt sich durchaus auf sämtliche technologischen Entwicklungen, wenn auch in leicht abgewandelter Form, anwenden. Mit der Erfindung des Computers war Mensch in der Lage in bestimmten Bereichen Aufgaben mit diesem Werkzeug besser und schneller zu erledigen als zuvor. In ökonomischem Sinne mit weniger Aufwand und somit auf lange Sicht kostengünstiger. Gleichzeitig veränderte sich die Situation der Abläufe, da mit dem Einsatz dieses Werkzeugs nicht nur bestehende Aufgaben gelöst werden konnten, sondern auch neue Probleme entstanden. Diese neuen Probleme, basierend auf dem Einsatz gerade erst entwickelter Techniken, fordern geradezu dazu auf, den Funktionsumfang dieser Techniken zu erweitern. Damit eröffnen sich auch Möglichkeiten, diese spezifischen Werkzeuge in Kontexten einzusetzen, an die bis dahin niemand gedacht hatte.

Diese erhöhte Wahrscheinlichkeit und die damit vermehrte Anwendung der neuesten Technologien führt zu einer Art Lock-in, in dem die Diskussion heute sich hauptsächlich daran orientiert, was mittels digitaler Technik und künstlicher Intelligenz möglich scheint, und weniger daran, welche gesellschaftspolitischen und ethischen Aspekte in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden sollten. Im Rahmen der derzeitigen meist transportierten Einschätzung von Digitalisierung bedeutet dies, kybernetisch basierte Lösungen für fast alle Probleme in vielen unterschiedlichen Bereichen einzusetzen. So findet man heute im gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, technologischen und auch ökonomischen Kontext die Anwendung von Steuerungstechnik (Kybernetik) und Algorithmen zur Reduktion von Komplexität = Problemlösung. Einher mit dieser Entwicklung geht gleichzeitig und paradoxerweise eine Erhöhung der Komplexität. Bedingt ist dies durch systembedingte Feedbacks, Iterationen und Rekursionen, die dem Beobachter trotzdem ermöglichen, mittels mathematischer Modelle Strukturen und Ordnungsmuster und damit den Zustand von Stabilität zu erkennen.

Ein Phänomen, das mit diesem andauernden Wechsel zwischen Komplexitätsreduktion und Erhöhung von Komplexität einhergeht, zeigt sich in dem Auftreten von nichtlinearen Entwicklungen, wie sie auch schon bei der Entstehung skalenfreier Netzwerke beschrieben wurden. Die laufende Steigerung der Anzahl von Elementen in den von Selbstorganisation geprägten Systemen ist zwingend von Nichtlinearität geprägt. (Mainzer, 1999, S 6)

Ob dies in der Entwicklung von Netzwerken, den Veränderungen bei Klima und Umwelt, der Verteilung von ökonomischem Erfolg oder Misserfolg zu beobachten ist, bestimmt wieder der Standpunkt des Beobachters. Nichtlinearität = Exponentialität, ein Effekt, den ein menschlicher Verstand, der versucht, die Zukunft einzuschätzen, nicht erfassen kann. Einerseits kann damit Neues in die Welt eintreten – das Neue als emergentes Phänomen – andererseits ist das Neue nicht immer wünschenswert, wie die Pandemie des Covid-19 Virus der Welt gezeigt und dabei den Begriff der Exponentialität im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert hat.