Im Zusammenhang mit Aktien und Börsen kennt man den Begriff der Emergenz in der Bezeichnung von Emerging Markets – aufstrebende Märkte von Schwellenländern, die sowohl hohe Chancen als auch hohe Risiken für Investments bieten. Damit hat man bereits einen Aspekt der Definition von Emergenz abgedeckt. Nämlich die prinzipielle Unvorhersehbarkeit emergenter Phänomene. Man ist zwar in der Lage, mittels Algorithmen innerhalb eines Beobachtersystems bestimmte Tendenzen zu erkennen, eine konkrete Vorhersage für das Entstehen neuer Strukturen und Eigenschaften ist jedoch nicht möglich. Die tägliche Beobachtung der Wettervorhersage bestätigt diese Sichtweise.

Der Begriff der Emergenz wird mit der Entstehung von Neuem gleichgesetzt, bestimmt durch eine Beobachtung, die bis dahin so nicht gemacht werden konnte. Dies kennzeichnet den Zeitpunkt eines Prozesses, der Verhaltensänderungen, neue Eigenschaften und Strukturen innerhalb des Beobachtungssystems ersichtlich macht. „Das Neue ist“ – für Beobachter „interessant, vorher nicht ersichtlich, teilweise kontraintuitiv und Konsequenz der Interaktion von Eigenschaften des Systems“ (Karban, 2015, S 78). Eine Voraussetzung für die Beschreibung eines emergenten Vorgangs ist auch die Feststellung, dass keines der Elemente innerhalb des beobachteten Prozesses die gleiche Eigenschaft wie das Ganze aufweist. Bei einem derart evolutionären Prozess ist somit eine Art von hierarchischer Ordnungsstruktur auf unterschiedlich vielen Organisationsebenen zu beobachten. (Stephan, 2007, S 14ff)

Die zuvor erwähnte Unvorhersehbarkeit stellt nicht nur für die beschriebenen Märkte eine Herausforderung dar. Doch die Möglichkeit, aus vorhandenen Regeln innerhalb eines begrenzten Beobachtungssystems gewisse Einschätzungen für zukünftige Ereignisse vorherzusagen, beflügelt im Augenblick den Bereich der Data Science.

Es wird auch der Eindruck vermittelt, dass mithilfe von Data Science und KI-Technologien gesteuerte Systeme in der Lage seien, bei Eintritt unvorhergesehener Ereignisse unverzüglich die richtigen Schritte zu setzen – und dies wesentlich besser und sicherer als der Mensch. Wir sind somit damit konfrontiert, das Auftreten emergenter Phänomene möglichst nur in positiver Konnotation zulassen zu wollen.

Die Anwendung von Simulationen solcher Vorgänge mittels Abfolge der gleichen Regeln in rekursiven oder iterativen Schleifen zeigen immer wieder emergente Entwicklungen, auch wenn Regeln und Rahmenbedingungen de- terminiert sein sollten. Das heißt, dass trotz unveränderbarer Algorithmen emergente Phänomene beobachtbar sind.

Die dabei angewandten unveränderbaren Regeln und systemischen Bedingungen lassen sich zusätzlich nicht auf die Lebenswelt, d.h. auf alltagstaugliche Bedingungen umlegen. Der Umgang mit sich laufend wandelnden Prozessen erfordert mehr, als die Anwendung der immer gleichen Algorithmen.

Dies bedeutet, dass eine Vorhersage auch innerhalb sehr eng definierter Beobachtungssysteme die Notwendigkeit adaptierbarer Algorithmen verlangt was besagt, dass auch die Anwendungsregeln von Fall zu Fall zu verändern sind. Ein Aspekt, der daran erinnert, dass die Evolution uns Menschen mit einer Eigenschaft ausgestattet hat, die es möglich macht, ziemlich gut mit Veränderungen umzugehen – einer Eigenschaft, die wir als Intelligenz bezeichnen.