Erst recht in einer Krise wird es nach konkreter Wahrnehmung der Situation und der damit verbundenen Erkenntnis der nicht zu ändernden Tatsachen zur Pflicht einen Diskurs ins Leben zu rufen. Wer, wenn nicht die in verantwortlichen Positionen Tätigen, sind aufgefordert, mit Vertretern aller von der Krise betroffenen Gesellschaftsgruppen eine Gesprächsbasis zu suchen. Nur so ist es möglich, eine Strategie zur erforderlichen Bewältigung der Notlage zu entwickeln, die garantieren kann, dass niemand innerhalb der Gesellschaft auf der Strecke bleibt.

Man könnte der Ansicht sein, dass es reicht, Maßnahmen zu setzen, die – wie im Falle der aktuellen Covid-19 Verbreitung – die Ausbreitung eben dieser Pandemie einschränken – alles Weitere würde sich in der Folge auf Basis der Entwicklungen ergeben. Diese Argumentation ist jedoch nicht dazu geeignet, auf längere Sicht ungeteilte Zustimmung zu erhalten. Es sind nämlich nicht einmal „wirkliche Macher“ in der Lage so komplexe Situationen auf eine Art und Weise zu überblicken, die alle gesellschaftlich notwendigen Ansprüche zumindest teilweise berücksichtigt. Ist diese Erkenntnis den in einer solchen Situation gleichsam „zum Handeln verdammten“ Personen nicht klar, so werden sie mit großer Sicherheit Schritte setzen, die ihre Position als Regierende deutlich schwächen, auch wenn in den ersten Wochen der gegenteilige Eindruck entsteht. Schließlich wird es auch auf Dauer nicht helfen, diese Unfähigkeit eine gemeinsame Strategie zu entwickeln hinter taktisch geplanten und mit großem kommunikationtechnischem Know-How verbrämten Auftritten in Print- oder Online-Medien und diversen TV-Sendern zu zelebrieren.

Es kommt der Tag, an dem diese Taktik offensichtlich wird und die systemisch bedingte Unfähigkeit, notwendige Veränderungen des Systems gemeinsam mit allen Kräften anzugehen, eine Adaption an die veränderten Umweltbedingungen in Frage stellt, oder sogar unmöglich macht. Im aktuellen Fall der Corona-Pandemie werden auch die anfangs offensichtlich erfolgreichen Verordnungen und Bestimmungen dadurch abgewertet. Wie kommt es denn dazu, dass solche, für einen Beobachter von Außen ziemlich offensichtlichen Abläufe, von den handelnden Personen nicht erkannt werden. Eine mögliche Erklärung dafür liefern die beiden Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela in ihrem Buch „Baum der Erkenntnis„.

Sie beschreiben, dass die Möglichkeit von Erkenntnis sowohl auf Sozialem und Kulturellem, als auch auf den biologischen Wurzeln des Menschen basiert.

„Baum der Erkenntnis“ Maturana/Varela 1984 S. 33

Systemisch betrachtet sagt dies aus, dass man nicht sehen kann, dass man nicht sieht. Eine Formulierung, die auch bei Heinz von Förster so zu finden ist. Dies bedeutet, je mehr man innerhalb eines gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Systems verflochten und eingebunden ist, desto weniger kann man den Kontext dieses Systems in Betracht ziehen und in seine Überlegungen mit einbeziehen. In unserer überaus komplexen Welt scheint dies öfter vorzukommen. Der evolutionären Anpassung an veränderte Umweltbedingungen ist eine dermaßen bedingte Blindheit allerdings nicht zuträglich.

Notwendig wäre ein Diskurs auf breiter Basis und auf Augenhöhe, um die innerhalb der Gesellschaft vorhandenen Potentiale nutzen zu können. Eine Einschränkung auf wenige, dazu noch ideologisch motivierte Sichtweisen minimiert die Fähigkeit zur Adaption – in der Situation der Pandemie somit auch die gemeinsame Bewältigung der Krise. Im Falle der Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie, werden ohne mittels Diskurs gemeinsam erarbeiteter Strategie in Zukunft Kollateralschäden die Gesellschaft beschäftigen, deren Auswirkungen größer sein werden, als die durch die Pandemie befürchteten, denn die Lösung von Problemen führt zu neuen Problemen – also ist nur die kooperative Art und Weise einer Lösung die beste Voraussetzung kommende Probleme zu minimieren.