Es gibt viele Menschen, Objekte oder Situationen, die sowohl unsere, als auch die Aufmerksamkeit vieler anderer Menschen auf sich ziehen. Warum dies so ist, wird in der Regel nicht weiter hinterfragt, denn wir stellen oft fest, dass es einfach so ist. Meist wird diese Aufmerksamkeit auch mithilfe von Zahlen belegt – die Bekanntheit ist gleichsam messbar. Dies ist beson- ders leicht in Bereichen wie Kultur und Sport zu beobachten, wo Erfolg und die damit verbundene Bekanntheit sich leicht ausdrücken lassen. So wird bei außergewöhnlichen Büchern die Höhe der Auflage, bei Filmen die Anzahl der Besucher oder die Höhe der Einspielergebnisse und im Sport die schnellste Zeit oder der höchste Sieg in die Annalen eingehen. Sollte diese Art der Aufmerksamkeit mit einer gewissen Konstanz verbunden sein, so ist nicht daran zu zweifeln, dass dieser Erfolg mit einer ökonomischen Kom- ponente gepaart wird. Selbstverständlich gibt es auch Fälle oder Objekte, deren Bekanntheit sich nicht auf die eben beschriebene Art messen lässt. In einem derartigen Fall wird immer wieder auf die Expertise von Fachleuten verwiesen.
Duncan J. Watts beschreibt in diesem Zusammenhang den Status des offen- sichtlich berühmtesten Gemäldes der Welt – der Mona Lisa von Leonardo da Vinci. (Watts, 2011, S 54ff) Das Bildnis der Mona Lisa wird von Fachleu- ten als außergewöhnliches Meisterwerk bezeichnet. Der Wert des Gemäldes wird als unermesslich hoch beschrieben, sodass man davon ausgehen kann, dass niemand eine solche Summe Geldes aufbringen würde um dieses Ge- mälde zu kaufen. Der Ausstellungsort des Gemäldes wird im Pariser Musée du Louvre von jeder Menge Touristen belagert. Steht man als Besucherin nach einem Gedränge endlich vor dem mit allen Regeln der heutigen Sicherungskunst geschützten Exponat, so ist es nicht verwunderlich wenn man sich fragt, was denn an diesem Gemälde so besonders und außergewöhnlich sei. Dieses Objekt ist ja auch nicht das einzige Bildnis seiner Art in dem Raum, sondern eines von vielen Bildern ähnlichen Stils und gleichartiger Provenienz. Dazu ist zu bemerken, dass die Aufmerksamkeit, die diesem Gemälde zuteil wurde, mehr als vier Jahrhunderte nach der Entstehung eine besondere Steigerung erfuhr. Im Jahre 1911 wurde die „Mona Lisa“ gestohlen und war danach zwei Jahre verschwunden. Ein Angestellter des Louvre italienischer Herkunft wollte das Bildnis gleichsam in seine Heimat repatriieren.
Die erhöhte Aufmerksamkeit, die dieses Gemälde mit diesem Diebstahl und dessen Aufklärung erfuhr, war nicht mit der zu vergleichen, die dem Bild- nis der Mona Lisa bis zu diesem Zeitpunkt zuteil geworden war. Es geht in diesem Zusammenhang also nicht ausschließlich um eine, wodurch auch immer, feststellbare und mittels Expertise gesicherte Qualität, sondern um die außergewöhnliche Geschichte und die damit durch beobachtende und bewertende Menschen verbundenen Interpretation und die damit verbunde- nen Erwartungen – eine Auswirkung der Path Dependence. „Die Mona Lisa ist also deshalb berühmt, weil sie für mehr steht als ein Gemälde“ . (Watts, 2011, S 59) Das Gemälde der Mona Lisa ist das bekannteste Gemälde der Welt, weil es, zusätzlich zu der Tatsache der Bekanntheit, gestohlen und durch den anschließenden Medienrummel noch bekannter und vielfach ko- piert wurde. Das Gemälde wäre allerdings nicht gestohlen worden, wäre es zuvor noch nicht bekannt gewesen. Eine Feststellung, die frappant an einen Zirkelschluss (Watts, 2011, S 59) erinnert.
Mit dem Blick auf das Prinzip des preferential attachment wird diese Tatsache erklärbar, denn Aktionen, die zu vermehrter Aufmerksamkeit führen, werden hauptsächlich Situationen, Objekten oder Personen zuteil, die bereits in der Vergangenheit ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit erhalten haben. Besonders im Themenbereich digitaler Technologien, der durch die Steuerung von Information geprägt ist, sind die auftretenden Netzwerkeffekte und die damit in Verbindung stehenden Wertigkeiten von Aufmerksamkeit als Grundlage struktureller Prägungen zu betrachten.
Das Ausmaß an Aufmerksamkeit manifestiert sich im ökonomischen Bereich als Teilhabe am Markt, im politischen Bereich führt es zu vermehrter Dominanz wenig komplexer Ideologien und der Minimierung des Diskurses. Sogenannte soziale Netze bieten der Allgemeinheit Werkzeuge, mit denen jeder und jede Einzelne die Prinzipien dieses Spiels um Aufmerksamkeit in der eigenen Umgebung und darüber hinaus anwenden kann. Dabei geht es weniger um ökonomische, macht- oder marktpolitische Aspekte. Die Wäh- rung, in der hier bezahlt wird, nennt sich Follower, Friends, Likes, Retweets …
In allen Bereichen, in denen die Messung der Aufmerksamkeit zum Maßstab für Erfolg und Anerkennung wird, dient dies im Sinne der Netzwerktheorie der Stabilisierung von Strukturen und einer damit verbundenen Reduktion von Komplexität. Dies mag bis zu einem gewissen Grad vorteilhaft sein. Bei fortschreitender Stärkung der Hubs wird die Adaptionsfähigkeit des Systems jedoch reduziert, da die Ressource Aufmerksamkeit sich zu sehr auf die bereits bestehenden Hubs innerhalb des Netzwerks konzentriert. Mit der Globalisierung der Netzwerke wird diese Tatsache zusätzlich zu einer Frage des Einkommens. Denn „bemerkenswert ist, dass die Aufmerk- samkeit . . . eine Rolle nicht nur als knappe Ressource, sondern auch als Form des Einkommens spielt. In der Informationsökonomie . . . macht die Aufmerksamkeit dem Geld Konkurrenz.“ (Franck, 2014)