Die Entwicklung der technischen Grundlagen unserer heute täglich genutzten Kommunikationswerkzeuge fällt in etwa in die gleiche Dekade, in der auch die Erforschung sozialer Zusammenhänge mittels netzwerkartiger Modelle begann. Eine in diesem Zusammenhang erstellte Studie stammt von dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram, der sich im Jahre 1967 mit der Erforschung sozialer Verbindungen zwischen Menschen auseinandergesetzt hatte. Er wollte damit den Abstand zwischen zwei beliebigen Menschen in den USA messen. Milgram hatte zu diesem Zweck 160 Postkarten mit vorgegebenen Adressen verteilt. Dies mit der Auflage, diese Postkarten so oft an Bekannte weiterzugeben, bis die Adressaten diese erhalten hätten. Nach kurzer Zeit waren 42 Karten an den Bestimmungsorten angekommen, manche über zwei Stationen, manche über zwölf. Dies reichte aus, um dass Prinzip der Small Worlds = „six degrees of separation“ zu definieren, denn durchschnittlich hatten die Karten über 5,5 Stationen das Ziel erreicht. (Barabasi, 2003, S 28f)
Aus mathematisch, statistischer Sicht im Zeitalter von Big Data scheint die Begründung dieser Aussage wegen der geringen Größe des Samples heute nicht sehr werthaltig zu sein. Der Soziologe Duncan J. Watts ging dieser Frage nach und startete mit Kollegen ein Projekt, das die Annahmen von Stanley Milgram evaluieren sollte. Das Internet sollte die Grundlage sein, um ein ähnliches Unterfangen mit ca. 50.000 Nachrichten aus 163 Ländern durchzuführen. Diese Nachrichten sollten insgesamt 18 Adressaten erreichen. (Watts, 2003, S 37f) Das Ergebnis der Untersuchung war wesentlich komplexer als die Darstellung von Milgram mehr als drei Jahrzehnte zuvor. Es bestätigte jedoch grundsätzlich die Annahme der Small Worlds.
„Obwohl Milgrams kleine-Welt Theorie seit dreißig Jahren fast unverändert gilt, bleibt sie bis heute überraschend.“ (Watts, 2003, S 41) Solche Untersuchungen mit wesentlich vergrößerten Datenerhebungen durchzuführen, war erst mit dem Aufkommen des Internets und der Erhöhung der Rechenleistung von Computern möglich geworden. Mit ein Grund, dass das Interesse an der Wissenschaft der Netzwerke gestiegen war.
In der Zwischenzeit werden Netzwerke in unterschiedlichem Kontext erforscht. Nicht nur die Verbindungen von Menschen, sondern auch Unternehmen, Computer, Finanzströme, Märkte etc. unterliegen ähnlichen Prinzipien. Es macht den Eindruck, als ob das Phänomen der kleinen Welt nicht nur im ausdrücklich sozialen Kontext gültig wäre.
Die Prinzipien der „six degrees of separation“ , die für soziale Netzwerke gelten, scheinen auch für viele andere Arten von Netzwerken gültig zu sein. Dies weist auch mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass der Mensch als Beobachter sich nicht aus dem Gesamtbild der Betrachtung ausnehmen kann. Ein Hinweis auf die Unmöglichkeit, absolute Objektivität zu verlangen.
Darüber hinaus scheint der Struktur der Netzwerke für Entwicklungen eine höhere Relevanz zuzuordnen sein, als den innerhalb der Netze transportierten Inhalten. Dies legt die Bestätigung der Aussagen des Medientheoretikers Marschall McLuhan nahe, der in den späten 1960er Jahren die These vertrat, dass Menschen sowohl Sprache und Schrift als auch Medien – in der Zeit von Radio, TV und digitalen Medien selbstverständlich auch diese – als Werkzeuge zur Erweiterung ihrer Sinnesorgane verwenden. „Dies stört das bis dahin gewohnte Zusammenwirken der Sinne und erfordert einen Adaptionsschritt.“ (Karban, 2015, S 137) Dies mündete in dem Satz „The Medium is the Message“ (McLuhan, 1964), das verwendete Medium entspricht somit der Struktur innerhalb des genutzten Netzwerks – die transportierte Information scheint zweitrangig. Die angesprochenen Netzwerkstrukturen zeigen eine allgegenwärtige Clusterbildung. Das bedeutet im sozialen Kontext, dass viele Freunde – meiner Freunde – auch untereinander befreundet sind. Dasselbe gilt in Unternehmen, bei ökonomischen orientierten Partnerschaften, in der Wissenschaft und in vielen anderen thematisch abgegrenzten Bereichen.
Diese Cluster stellen somit eine Insel innerhalb eines weiter verzweigten Netzwerks dar, in denen gleichartige Informationsströme fließen. Vergleichbar mit Treffen am Stammtisch in einem laufend wiederkehrenden Kontext. Trotzdem ist das Prinzip der Small World allgegenwärtig – der Verbindung aller Menschen, egal an welchem Ort der Welt sie anzutreffen sind. Dies könnte zu der Annahme führen, diese beiden Sichtweisen würden einander widersprechen. Wenn da nicht einzelne Akteure in den Clustern wären, deren Verbindungen nach Innen nur relativ lose sind. Diese stellen jedoch die notwendige Verbindung zu anderen Clustern her. Eine Untersuchung, die dies bestätigte, hatte der Soziologe und Wirtschaftswissenschafter Mark Granovetter bereits 1973 publiziert. Seine Forschung bestätigte, dass die starken Bindungen innerhalb von Clustern Verbindungen über die Grenzen der Cluster hinaus nicht herstellen. Es sind die sogenannten Weak Ties – schwache Links -, die den notwendigen Informationsfluss über die Grenzen der Cluster hinweg aufrechterhalten. (Granovetter, 1973) Gibt es diese schwachen Links zwischen unterschiedlichen Clustern nicht, ist dies einer der Aspekte, die an der Diskussion betreffend Fake-News und Desinformation maßgeblichen Anteil haben, weil sie verstärkend wirken.
Ein weiterer Aspekt, der durch das Vorhandensein unterschiedlicher Cluster verdeutlicht wird, ist die Feststellung, dass es scheinbar eine sehr komplexe Landschaft von Netzwerken gibt, die miteinander in unterschiedlichster Art und Weise in Relation stehen. So werden einzelne Knoten innerhalb von Netzwerken selbst wieder als eigenständige Netzwerke betrachtet – ineinander verschachtelte Netzwerke (Nestedness). (Csermely, 2006, S 43f) Die unterschiedlichen Wertigkeiten von Links und Knoten, die sich aus der Definition von Strong Ties und Weak Ties ergeben, werfen die Frage nach der Entwicklung solcher Netzwerke auf. Hier tritt ein Effekt zutage, dem, mit zunehmender Größe der beobachteten Netzwerke, eine wachsende Bedeutung beigemessen werden kann.