Ein Hauptaspekt der Digitalisierung ist die Errungenschaft, möglichst viele Prozesse, egal ob technischer oder natürlicher Herkunft, mittels Aufzeichnung von Daten und der darauffolgenden Auswertung dieser Daten steuerungstechnisch auf das beobachtete System wieder anzuwenden. Eigentlich ein typischer Fall von Selbstreferenzialität, solange Beobachter und Anwender innerhalb desselben Systems Prozesse und Abläufe optimieren. So lässt sich auch die vermehrte Aufmerksamkeit der ökonomisch orientierten Akteure erklären, die dem Thema Digitalisierung und der damit möglichen Optimierung von Arbeitsprozessen entgegengebracht wird. In den meisten Bereichen der Wirtschaft wird dem Begriff der Optimierung die Bedeutung von Kostenersparnis beigemessen. Dies hat mit Veränderung der Arbeitswelt und damit der Gesellschaft zu tun. Es wird vielfach darauf hingewiesen, dass bereits in der Vergangenheit mit jeder essenziellen industriellen Neuerung eine Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse stattgefunden hatte. Darauf wird auch in der Gegenwart oft und gerne verwiesen und diese Thematik in der Literatur abgehandelt.

Exemplarisch seien hier drei solcher Titel genannt, die mit Begriffen wie „Die 4. Revolution“ (Floridi, 2015) – „Die Vierte Industrielle Revolution“ (Schwab, 2016) – „Digital Disruption“ „Disruption ist „kreative Zerstörung“. Altes wird zerstört, Neues – Besseres oder Anderes – entsteht“ (Matzler, 2016) die Situation zu beschreiben versuchen.

All diese Aspekte der gesellschaftlichen Veränderung werden durch das messbar Machen bei gleichzeitiger Verfügbarkeit enormer Speicherkapazitäten für die aus unterschiedlichsten Abläufen abgeleiteten Messungen befördert. Dieses messbar Machen selbst ist die Voraussetzung dafür, mathematische Funktionen auf immer mehr alltägliche Gegebenheiten anwenden zu können. Für manche gesellschaftlichen Bereiche eröffnet dies offensichtlich Lösungen für anfallende Probleme. Man hört aber auch davon, dass der „Mythos Daten“ (Gabriel, 2019) mehrheitlich zu Lösungen von Problemen genutzt wird, die zuvor nicht vorhanden waren. In diesen Zusammenhang mag erwähnenswert erscheinen, dass die Mathematik zwar als einzige Wissenschaft unzweifelhafte Ergebnisse vorweisen kann. Es soll aber auch darauf Bezug genommen werden, dass einer der bekanntesten historischen Mathematiker, Carl Friedrich Gauss, in einem Brief im November 1811 konstatiert hat: „Man sollte überhaupt nie vergessen, dass die Functionen, wie alle mathematischen Begriffszusammensetzungen, nur unsere eigenen Geschöpfe sind . . . “ . (Gauss, 1880)

Dies verweist auf die Tatsache, dass auch Anwender mathematischer Funktionen als Beobachter an ihre eigene Sicht der Dinge gebunden sind und dies keinesfalls negieren können. Notwendige Skepsis – nicht im Sinne von Ablehnung, sondern im Sinne der kritischen Betrachtung – ist gefragt. Besonders unter den Umständen, in denen die allgemein kommunizierte Meinung vermittelt, dass eine Behauptung als gewährleistet angesehen werden kann. Ein Standpunkt, der im Themenbereich Big Data immer wieder anzutreffen ist. Eine Gefahr ist im Umfeld der Auswertung von Daten immer gegeben: oft werden Meinungen und Glaubenssätze als Tatsachen kommuniziert, gerade in Verbindung mit Statistik, die schließlich auch die Grundlage für die Anwendungen von künstlicher Intelligenz darstellt. Es ist also durchaus von Vorteil, die Tatsache, dass Mathematik als harte und objektive Wissenschaft angesehen wird, nicht auf alles Messbare anzuwenden. Auch wenn wir gewohnt sind, zu unterstellen, dass wir das, was für uns messbar ist, auch verstehen. (O’Neil, 2014)

Die Darstellung von Mathematik als hard science hat schon Heinz von Förster im Zusammenhang mit der Beschreibung von Beobachtern und dem Prinzip des Beobachters zweiter Ordnung zu folgender Aussage veranlasst: „The hard sciences are successful because they deal with the soft problems; the soft sciences are struggling because they deal with the hard problems.“ (Förster, 1972)

Eine kritische Betrachtung von Big Data bedeutet jedoch nicht, Vorteile oder Problemlösungen, die mit der Nutzung von Daten einhergehen können, abzulehnen. Der Begriff Data Science könnte hilfreich sein, wenn die Betonung mehr auf Science, im Verständnis von kritischer wissenschaftlicher Betrachtungsweise, als auf dem Sammeln von Daten alleine liegen würde. Die Akkumulation von Datenmengen zu allen möglichen Zwecken befördert die Kreativität von Menschen, die sich als Daten-Analysten betätigen.

Ob Forschungsansätze wie der von Alex Pentland aber als positiv für die Gesellschaft oder eher als Gefahr einzustufen sind, könnte Thema einer breiteren Diskussion sein. Ansätze eine bessere Gesellschaft nach Ideen Einzelner oder einer kleinen Gruppe von Menschen gestalten zu wollen, sind nicht dazu geeignet eine Gesellschaft zu gestalten, die alle so akzeptieren. „Social Physics will change the way we think about how we learn and how our social groups work – and can be made to work better, at every level of society“ . (Pentland, 2014)