Die Disziplinierung, wie Foucault sie beschrieben hat, gewährt den Mitgliedern von Gesellschaften bestimmte Sicherheiten, die mit einer gewissen Einschränkung der üblicherweise gewährten Freiheiten einher geht. In der Zeit der Covid-19-Pandemie war gerade dies deutlich zu spüren. Es zeigten sich Analogien zu den von Foucault beschriebenen Disziplinierungsmaßnahmen im Rahmen des Auftretens der Pest im 17. Jahrhundert.

Diese werden von der Politik vorgebracht und von einer Mehrzahl der Menschen auch akzeptiert. So argumentierte der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn bei einer Pressekonferenz: „Ich bin mir sehr bewusst, dass es ein Eingriff in die Freiheit des Einzelnen ist. Aber ich finde, es ist ein zumutbarer Eingriff.“ (MDR Fernsehen, 2020)

Ein Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit tritt allerdings nicht nur innerhalb gesellschaftlicher Systeme auf, sondern ist in jedem System grundsätzlich vorhanden. Die Strukturen eines Systems, egal ob es sich um ein soziales, biologisches oder organisatorisches System handelt, gewährt ein erforderliches Maß an Stabilität. Gleichzeitig sollten diese Strukturen so flexibel sein, notwendige Adaptionen zulassen zu können. Dies kann auch als der Aspekt von Freiheit interpretiert werden, der erforderlich ist, um neue Wege beschreiten zu können.

Die unterschiedlichen Ebenen, auf denen Staaten, Gesellschaft, Wirtschaft, Informationstechnologie und die in all diesen Systemen als Elemente auftretenden Akteure = Menschen = biologische Systeme auftreten, ergeben ein über alle Maßen komplexes Zusammenspiel verschiedenster Strukturen. Betrachtet man die Entwicklung des Internets und der darauf aufbauenden Dienste innerhalb der letzte 25 Jahre, so könnte in Bezug auf die Thematik von Sicherheit und Freiheit durchaus folgende Einschätzung argumentiert werden:

Mit dem Aufkommen des Internets entstand der Eindruck von ungleich mehr Freiheit im Kontext von Kommunikation und Information als bis dahin. Die Möglichkeit im Rahmen des Mediums des elektronischen Dorfs, wie Marshall McLuhan es bereits in den 1960er-Jahren bezeichnet hatte (McLuhan, 1968), nicht nur als Empfänger, sondern auch als Sender aufzutreten, versprach eine grenzenlose Erweiterung der freien Meinungsäußerung. Die bis dahin allgegenwärtige Dominanz der großen Informationsanbieter schien somit infrage gestellt. Aus einer Kommunikation 1 zu n – ein großer Informationsanbieter, aus dem Kreis der TV- oder Printmedien erreicht viele Informationssuchende – schien sich eine n zu n Kommunikation, d.h. viele Informationsanbieter erreichen viele Informationssuchende, entwickeln zu können.

Diese Idee war durchaus nachzuvollziehen. Es wurde dabei allerdings nicht damit gerechnet, dass die Menge an verfügbarer Information dadurch in einem derart exponentiellen Ausmaß zunehmen würde, wie dies geschehen ist. Es wurde damit die Suche nach relevanter Information für einzelne Themen zu einem Problem, das bis dahin so nicht aufgetreten war. Wo ein Problem, da auch eine Lösung. Es entwickelten sich Dienste, die es einerseits ermöglichten, gewaltige Mengen an Information zu durchsuchen (Suchmaschinen), andererseits entstanden Plattformen, die den vielen potenziellen Sendern von Information Möglichkeit boten, ihre persönlich oder ökonomisch orientierten Nachrichten mit aller Welt zu teilen. So entstanden sogenannte Soziale Medien.

Der Betrieb solcher Dienste verlangte nach ökonomisch orientierten Grundlagen. Die Notwendigkeit, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die in der Lage waren diese Dienste zu finanzieren, war gegeben. Grundlage für die Finanzierung dieser Dienste konnten somit nur die mit dem Betrieb anfallenden Daten sein, die Aussagen über die Wünsche und Interessen der Menschen zuließen, die sich informieren oder mitteilen wollten. Der Schritt zum Überwachungskapitalismus, wie von Shoshana Zuboff beschrieben (Zuboff, 2018), war getan. Dazu kamen Aspekte der Netzwerke, die aus den meistgenutzten Diensten dominante Player innerhalb dieser Strukturen machten. Somit entstanden neue, bis dahin nicht vorhandene, global agierende Hierarchien mit geänderten Regeln und bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten Ordnungsstrukturen. Komplexität wurde dadurch scheinbar reduziert, erhöhte sich jedoch im globalen Kontext. Machtverhältnisse verschoben sich von Staaten zu global agierenden Unternehmen meist US-amerikanischer Herkunft.

Der Blick zurück, auf eine Welt mit grenzenlos empfundener Freiheit, wie sie in den 1990er-Jahren erschien, lässt erkennen, dass die erhofften Erwartungen sich nicht erfüllen konnten. Die Idee von Freiheit ist einem starken Bedürfnis nach Sicherheit gewichen. Sicherheit in Form verschlüsselter Kommunikation, Sicherheit vor Angriffen aus dem Netz, die mit finanziellem Schaden einhergehen könnten und mehr. Ebenso nach einer Art informationeller Sicherheit, der Gewissheit, dass Nachrichten als korrekte Information zu werten sind, und nicht als Desinformation. Wir sind also wieder einmal gefordert, eine Lösung für ein neues Problem zu finden.