Was für eine Frage? Unsere Wahrnehmung ist analog, das wurde eben erwähnt. Wie kann man dann überhaupt auf die Idee kommen, dass menschliche Erkenntnis digital sein könnte? Jede Art von Erkenntnis, das heißt, etwas wahrzunehmen und zu erkennen, stellt einen Prozess dar. Im ersten Schritt werden analoge Signale von unseren Sinnen aufgenommen – wir sehen, hören, riechen, ertasten, spüren etwas. Diese Wahrnehmung wird mit unserer Erfahrung abgeglichen und auf Ähnlichkeiten in der Vergangenheit überprüft. Die gespeicherten Erfahrungen rufen wir aus unserer Erinnerung ab, vergleichen diese mit der aktuellen Situation und versuchen, mögliche zukünftige Auswirkungen abzuschätzen. Denn sobald wir Handlungen setzen oder auch nicht, ergeben sich Folgen daraus.

Diese Form von Erkenntnis und die daraus folgenden Aktionen weisen auf eine Fähigkeit hin, die man als menschliche Problemlösungskompetenz bezeichnen kann. Aus jeder Wahrnehmung ergibt sich in einem Prozess eine Erkenntnis zur Lösung eines Problems. Wird die Hirntätigkeit gemessen, während Erkenntnisse verarbeitet und Entscheidungen getroffen werden, so gibt es interessante Analogien mit Aspekten, die wir später bei der Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz wieder finden werden. Im Augenblick ist allerdings die Beobachtung bemerkenswert, dass die Verarbeitung neuronaler Signale im natürlichen Umfeld nicht ausschließlich sequenziell erfolgt. Denn es konnte beobachtet werden, dass solche neuronal messbare Impulse mittels Überlagerung nachfolgende Eindrücke über einen Zeitraum bis zu maximal 700ms teilweise überlagern und damit beeinflussen. (Nikolic, 2009)

Offensichtlich erhält man damit die Beschreibung von mehreren, fast gleichzeitig ablaufenden, analogen Vorgängen. Dieser Prozess anhaltender und einander beeinflussender Impulse führt zu einem Ergebnis, das im allgemeinen Sprachgebrauch als Denken und als das Treffen von Entscheidungen bezeichnet wird. Diese Entscheidungen oder Unterscheidungen können als Abfolge logischer Operationen betrachtet werden, also im Prinzip als ein kontinuierlicher Strom von entweder / oder – ja / nein Festlegung. Ein Vorgang, der sich mittels mathematischer Modelle visuell darstellen lässt. Diese bildhafte Darstellung ergibt ein sogenanntes fraktales Modell, dessen essenzielle Eigenschaft es ist, laufend sich wiederholende Muster mit erstaunlicher Ähnlichkeit (Skaleninvarianz / Selbstähnlichkeit) zu zeigen.

Der Begriff „fraktal“ leitet sich vom lateinischen „fractus – gebrochen“ ab. Dies erinnert frappant an die Definition der Aufzeichnung von Signalen in Stufenform (Samples). Es wird bei diesem Vorgang ein ununterbrochener und stufenloser (= analoger) Strom von Impulsen mittels Quantifizierung in Form von Denken in Entscheidungen umgewandelt. Eine bewusste Aufzeichnung dieser Entscheidungen bei einem Versuch der Selbstbeobachtung resultiert in einer Reihe binärer Codierungen, wie sie aus der Informationstechnologie bekannt sind. Die neuronalen Vorgänge bleiben dabei völlig unbemerkt im Hintergrund.

Schon Gottfried Wilhelm Leibniz hatte im Jahre 1666 in seiner Dissertation De Arte Combinatoria (Leibnitz, 1666) die Gewinnung neuer Erkenntnis mittels Kombinatorik gleichsam auf eine mathematische Grundlage gestellt und darauf seine Vorstellung binärer Zahlenreihen begründet. Nach Leibniz ist dies die Grundlage der Berechenbarkeit der Welt. „Das Binärsystem, also das Rechnen mit 0 und 1, ist trotz seiner Länge das grundlegendste System für die Wissenschaft.“ (Poser, 2017)

Dies ermöglicht die Interpretation des menschlichen Denkens als stetigen Wandel zwischen analoger Wahrnehmung und digitaler = logisch begründbarer Erkenntnis. So zeigt diese Betrachtungsweise, dass die Frage nach analog oder digital selbst im Zusammenhang mit der Fähigkeit des menschlichen Denkens nicht mit entweder – oder beantwortet werden kann.

Dies erinnert an die Frage nach der Beschaffenheit des Lichts in der Physik – ob Teilchen oder Welle. Eine Frage die schließlich vor fast einhundert Jahren zur Theorie der Quantenmechanik führte und damit die Position des entweder – oder maßgeblich an der Position des Beobachters festmachte. Gedankenströme fließen ohne Unterbrechung – Edmund Husserl, der Begründer der Phänomenologie hat dazu den Begriff des Erlebnisstroms geprägt (Husserl, 1998) – somit in trauter Analogie zum Begriff des Analogen.

Die Strukturierung der wahrgenommenen Gedanken manifestiert etwas, das wir Bewusstsein nennen. Dies wiederum führt auf Basis der laufenden Strukturierung zu initiierten Unterscheidungen und in der Folge zu Handlungsimpulsen, die in der Regel mit ja / nein Entscheidungen gleichzusetzen sind. Also Abläufe, die durchaus mit der Extraktion von Digitalem aus einem analogen Strom von Gedanken gleichgesetzt werden können. Jede Erkenntnis baut auf Erkenntnissen aus der Vergangenheit auf und trägt so maßgeblich zu einer systemisch bedingten Struktur der Wahrnehmungen bei. Dies bedeutet einerseits eine Stabilisierung, andererseits jedoch auch eine Einschränkung. (Karban, 2011)

Erkenntnis = Wahrnehmung = Unterscheidung ist somit immer von den Strukturen des Erkennenden abhängig. Gleichzeitig hat dieser Prozess des Erkennens mittels der daraus folgenden Erkenntnis Einfluss auf die Strukturen und somit auf die Fähigkeit des Erkennens = Unterscheidens. Die allererste Unterscheidung ist in diesem Strom die Basis für weitere Unterscheidungen. In Summe münden diese Unterscheidungen mittels Selbstreferenzialität in einem komplexen Beobachtungssystem, welches weitere Erkenntnisse maßgeblich beeinflusst.

Ein außerordentlich gutes Beispiel für einen Prozess der von Feedback und Rekursion geprägt ist. Dieses so entwickelte Erkenntnis- und Denksystem macht es möglich, die Objekte und Zustände im Rahmen des eigenen Kontexts zu beschreiben und dabei Kausalzusammenhänge und Zieldefinitionen zu entwickeln. Das Augenmerk sei hier auf den Begriff der Zieldefinitionen gerichtet – diese sind essenziell für weitere Unterscheidungen und werden uns bei der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Künstlichen Intelligenz und damit verbundenen ethisch begründbaren Problemen wieder begegnen. Auf diese Weise entstehende Strukturen ermöglichen in der Folge das (Wieder)Erkennen von bereits in der Vergangenheit Erkanntem, ohne den gesamten Ablauf von Unterscheidungen nochmals durchgehen zu müssen. Mensch hat daraus gelernt.