Die digitale Kluft war seit dem vermehrten Umgang mit Computern und der damit verbundenen Fähigkeit zu freier Kommunikation und Informationsbeschaffung ein Thema. In den 1980er Jahren war der Zugang zum beginnenden neuen Medium einigen wenigen Insidern vorbehalten, die in der Lage waren endlose Codes zu tippen, um bestimmte Anwendungen auf den damals verfügbaren Geräten zu starten. Die Herstellung einer Netzwerkverbindung mittels Modem war mit KnowHow und viel Aufwand verbunden. Von grafischen Oberflächen mit Menüführung war man damals im technischen Bereich weit entfernt. Dies änderte sich maßgeblich mit der Einführung des WorldWideWeb.
Mit der Vereinfachung des bis dahin sehr komplizierten Einstiegs in die unterschiedlichen Netzwerkdienste, war es auch für technische Laien möglich, sich Zugang zu verschaffen. Die vormals hauptsächlich technische Hürde wurde damit zu einer mehr oder minder sozial bedingten. Damit wurde diese Art von Exklusion erst zu einem Thema, denn zuvor, war die Nutzung von Netzwerkdiensten eine Tätigkeit, die sehr wenigen Spezialisten vorbehalten war. Mit der Erschließung der Netzwerkwelt mittels Browser und Links – das WorldWideWeb beruht auf der Arbeit des britischen Wissenschafters Tim Berners Lee am Cern 1989 – begann das WWW zu einem Phänomen der Massen zu werden. Zu Beginn zwar sehr langsam, aber nach einer fast linearen Steigerungsrate in den ersten Jahren, zeigte die Entwicklung der Nutzungshäufigkeit des WWW ab ca. 1996, sowohl im unternehmerischen, als auch im privaten Bereich, eine exponentielle Wachstumskurve.
Der Zugang zum Internet, die Möglichkeiten, sich Information zu beschaffen, eventuell auch bereitzustellen, zu kommunizieren und an einem Diskurs teilzuhaben, wurden damit zu einem wichtigen Vermögen im Sinne der Interpretation Max Webers, der festgestellt hatte: „Zum ‚Vermögen’ gehören nicht nur Sachgüter. Sondern: alle Chancen …“ Somit wurden alle, denen dieses Vermögen nicht zuteil wurde, die zu arm oder zu alt waren, um an dem neuen Medium teilzuhaben, Opfer des „Digital Divide“.
Diese Interpretation der digitalen Kluft ist nach wie vor Thema in sozialpolitischem Kontext, zwar nicht mehr in derselben Ausprägung wie vor zwanzig Jahren, jedoch bemerkbar z.B. in der Diskussion um Breitbandausbau zur möglichst schnellen Verbindung mit dem Netz, bei der Betonung der Wichtigkeit von Notebooks oder Tablets in Schulen.
Der nächste Entwicklungsschritt zur Steigerung der Internet-Nutzung und auch zu einer gravierenden Änderung des Nutzungsverhaltens war die Einführung von Smartphones im Jahr 2007. Diese Geräte garantieren eine permanente Verbindung mit dem Internet und ermöglichen damit die Nutzung von Diensten und sogenannten Apps – Applikationen – die laufende Information ermöglichen, andererseits selbst laufend mit zentralen Servern kommunizieren. Diese oft 24 Stunden / 7 Tage die Woche andauernde Verbindung ist nicht nur im Zusammenhang mit BIG DATA sondern auch unter dem Blickwinkel der Netzwerktheorie interessant und bestätigt das Phänomen der Bildung von Hubs. So gibt es im Themenfeld Betriebssysteme für Smartphones im Jahre 2019 nur zwei relevante Anbieter, die sich den weltweiten Markt aufteilen:
Android – von Google mit einem Marktanteil von 86,1%
IDC Smartphone Market Share. https://www.idc.com/promo/smartphone-market-share/os
IOS – von Apple mit einem Marktanteil von 13,9%
Dies dokumentiert das Ausmaß der Abhängigkeit von Nutzerinnen und Nutzern und auch von Anbietern unterschiedlicher Apps von den beiden dominierenden Hubs im Bereich Smartphones. Ein Hinweis auf eine Art von „Digital Divide“, der in der allgemeinen Diskussion bis dato nicht angekommen ist. Die wirkliche soziale und wirtschaftliche Kluft zeigt sich auf mehreren Ebenen – einerseits gibt es Milliarden von Menschen, die Smartphones mit unterschiedlichsten Apps nutzen. So nutzen 96% der Österreicher bis 69 Jahre Smartphones für folgende Tätigkeiten zwischen 2,8 und 3,7 Stunden pro Tag:
94% Surfen im Internet66% Preise vergleichen
Internet: Mindtake Research: Mobiles Internet Österreich 2018 https://www.mindtake.com/de/press-release/55-der-heimischen-smartphone-nutzer-shoppen-mobil-und-66-vergleichen-preise
65% Adressen suchen
55% online einkaufen
42% für Informationen kurz nach dem Aufstehen
und dies tun 69% fast täglich, denn nur
31% können für mehrere Tage auf die Nutzung von Smartphones verzichten.
Dies ist gleichsam die eine Gruppe. Für diese große Gruppe der Nutzer/innen bleiben Regeln und Abläufe im Rahmen des Betriebs der Anwendungen eine black Box – sind also nicht durchschaubar. Auch wenn der Gruppe der Nutzer/innen bewusst ist, dass dabei – meist persönliche – Daten anfallen, nehmen sie dies billigend in Kauf, da scheinbar kurzfristige Vorteile einen eventuell vermuteten Nachteil überwiegen.
Zwischen den Smartphone Nutzern und der Gruppe der Unternehmen oder Entwicklern, die mit der Veröffentlichung von Apps eine ökonomische Idee verfolgen ist die eine Kluft zu finden. Denn das Verständnis bezüglich Algorithmen und technischen Abläufen ist bei dieser zweiten Gruppe angesiedelt. Die sogenannte Start-Up Szene, meist junge, innovative und kreative Unternehmerinnen und Unternehmer versuchen Geschäftsmodelle zu entwicklen, die in diesem digitalen Umfeld reüssieren können. Dies zeigt sich durch die Gründung sogenannter Start-Up – und Gründer-Hubs – in Anlehnung an den netzwerketheoretischen Begriff – die dabei helfen Geschäftsmodelle und Finanzpläne zu entwickeln. Es gibt auch dem entsprechende Wettbewerbe, die die besten Ideen prämieren und sogar mit Finanziers in Kontakt bringen.
Beschäftigt man sich näher mit den zu solchen Wettbewerben eingereichten Businessplänen, so kann man auch in diesem Kontext die Beobachtung machen, dass Prinzipien der Netzwerke zu Tage treten. Die Mehrzahl dieser Pläne stützt sich auf die Multiplikation von Diensten, die sich auf Softwarebibliotheken und Algorithmen von Mitgliedern der dritten Gruppe im digitalen Umfeld beruft. Nämlich auf die Gruppe der dominanten Hubs. Hier öffnet sich die zweite Kluft, denn diese Hubs bestimmen mit ihren Geschäftbedingungen und Diensten die grundsätzlichen Modelle im globalen Netzwerk. Diese Hubs zu benennen ist derzeit nicht schwer – an alphabetischer Reihenfolge sind dies: Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft, die mit ihren Shops und Cloudlösungen – der dominanten Websuche, den omnipräsenten sozialen Netzwerken, Betriebssystemen – Desktop und Smartphones – und den mit all diesen Diensten kombinierten Software-Werkzeugen das globale Internet dominieren.
Vereinzelt mögen lokale Anbieter den Status eines Hubs erreichen, besonders in China und Russland. Unter Berücksichtigung der geopolitischen Lage ist dies nachvollziehbar. Die Lage in der restlichen Welt ist von den fünf us-amerikanischen Unternehmen abhängig – was besonders den europäischen Ländern Kopfzerbrechen bereiten sollte.
In diesem Zusammenhang wird zwar wiederholt und in einigen Ländern und Bereichen von sogenannten „Digitalisierungspakten“ gesprochen, was sich jedoch leider nicht auf die Überwindung der drei hier angesprochenen „Digital Divides“ bezieht, sondern mittels der angedachten Maßnahmen, wie z.B. Ausbau 5G, Breitband, Smart-Practices etc. vermuten lässt, dass damit bestehende Strukturen gestärkt und so die bestehenden Machtverhältnisse im digitalen Raum zusätzlich zementiert werden. Dies verweist auf das Phänomen, dass in komplexen Situationen angedachte Lösungsansätze oftmals dazu angetan sind, die Probleme zu verstärken.
Aus dieser Sicht hat sich der „Digital Divide“ in den letzten drei Jahrzehnten vervielfacht und ist dadurch, was die Auswirkungen auf Gesellschaft, Arbeitswelt, Soziales und schließlich auch auf die staatliche Souveränität wirkmächtiger geworden
In der Zwischenzeit gibt es einige Ansätze und Ideen, die auf der Struktur distribuierter Netzwerke Lösungen aufbauen und damit der beschriebenen Situation Abhilfe schaffen sollen – meist aufbauend auf dem Prinzip der Blockchain ohne die Nutzung zentraler Server – diese sind allerdings im Augenblick in einer ersten Entwicklungphase.