Michel Foucault bezeichnet unter dem Begriff des Panoptismus einen Machttyp, der sich im 18. Jahrhundert verstärkt abzuzeichnen beginnt und durch das Modell des Panopticons anschaulich repräsentiert wird. Ein Vergleich mit dem Machttyp des Absolutismus soll dies verdeutlichen: die alte Feudalmacht glänzte durch Sichtbarkeit. An der Spitze der unangefochtenen Hierarchie befindet sich der Souverän selbst. Hier entfaltet sich die maximale Intensität der Macht.

Jedes Verbrechen und Vergehen richtet sich gegen den Souverän selbst, dessen Macht dadurch in Zweifel gezogen wird. Daher muss die Wiederherstellung der Macht in einer spektakulären Form geschehen, indem der Souverän am Körper des Delinquenten ein Exempel durch physische Grausamkeit statuiert. Durch die Schreie des Gemarterten wird die Macht in aller Öffentlichkeit wieder hergestellt.

Die Macht der Disziplin beruht auf einer völlig veränderten historischen Situation. Ab dem 18. Jahrhundert ist die Bevölkerung gewachsen, Armee, Schulen, Krankenhäuser und andere öffentliche Institutionen müssen mit einer größeren Anzahl der zu betreuenden Menschen rechnen. Es gibt bereits Manufakturen und die industrielle Revolution beginnt sich abzuzeichnen, wodurch sich eine neue Form des Wirtschaftens ergibt. Die Disziplinarmacht sieht den Körper als nutzbare Kraft, der nicht durch öffentliche Marter zerstört werden darf. Der Körper wird zu einer Quelle der Wertschöpfung und ist für diese Aufgabe zu optimieren und auf ein normatives Ziel hin zu disziplinieren.

Wie erfolgt nun die Umsetzung des panoptischen Modells?

Die Anwendung des panoptischen Schemas erstreckt sich auf alle Anstalten in denen innerhalb eines überschaubaren Raumes eine bestimmte Anzahl von Personen unter der Aufsicht zu halten ist. Interventionen sind dabei jederzeit möglich – der ständige Druck wirkt bereits vor der Begehung von Fehlern.

Disziplinierung und Überwachung werden perfektioniert und gehen daher mit einem Verzicht auf körperlich exekutierte Strafen einher. Disziplinen sind Techniken, die das Ordnen menschlicher Vielfalt sicherstellen sollen. Die Disziplin kann weder mit einer Person noch mit einem Apparat identifiziert werden. Sie ist ein Typ von Macht, eine Art der Ausübung von Gewalt, eine Technologie. Sie kann von spezialisierten Institutionen, wie Erziehungsheimen, oder vorgegebenen Institutionen wie der Familie oder Staatsapparaten (Polizei und Militär) durchgesetzt werden.

Foucault sagt explizit:

Disziplin ist im Grunde der Machtmechanismus, über den wir den Gesellschaftskörper bis hin zum kleinsten Element, bis hin zu den sozialen Atomen, also den Individuen zu kontrollieren vermögen. Es handelt sich um die Techniken der Individualisierung von Macht. Wie kann man jemanden überwachen, sein Verhalten und seine Eignung kontrollieren, seine Leistung steigern, seine Fähigkeiten verbessern? Wie kann man ihn an den Platz stellen, an dem er am nützlichsten ist Darum geht es bei der Disziplin.“ (Foucault, 2005, S 233)

Disziplinen als Techniken, die nutzbringende Individuen fabrizieren.

Die allgemeine Rechtsform, die ein System prinzipiell gleicher Rechte garantiert, ruhte auf den Disziplinen. Der Vertrag als Grundlage des Rechts und der politischen Macht beruht auf dem Panoptismus als das allgemein verbreitet technische Zwangsverfahren. Die Aufklärung, welche die Freiheiten entdeckt hat, hat auch die Disziplinen erfunden. Sie sind ein Subsystem des Rechts.

Die Beobachteten werden ins Licht gerückt, was zu einer Individualisierung der Beobachteten führt. Er / sie kann sich nicht in der Menge verbergen und ist daher vollkommen individualisiert und ständig sichtbar. Jedes Individuum muss daher mit ständigem Beobachtetwerden rechnen und steht daher laufend als Objekt der Information zur Verfügung. „Die Sichtbarkeit ist eine Falle“. (Foucault, 1977, S 257)

Die Unsichtbarkeit des Beobachters ist in der Lage die Aufrechterhaltung von Ordnung zu garantieren, d.h. es besteht keine Gefahr von Ausbruchsversuchen, Komplotten, etc. Auf andere Disziplinierungsinstitutionen übertragen, wie Spitäler, bedeutet die panoptische Anstalt die Verminderung von Ansteckungsgefahr, in psychiatrischen Einrichtungen keine gegenseitigen Gewalttätigkeiten, in Schulen kein Abschreiben, in der Fabrik keine Diebstähle.

Die dicht gedrängte Masse, die vielfältigen Austausch mit sich bringt und die Individualitäten verschmilzt, dieser Kollektiv-Effekt wird durch eine Sammlung getrennter Individuen ersetzt“ (Foucault, 1977, S 258) Die Macht wird automatisiert und entindividualisiert, denn im Zentralraum sieht man alles, ohne je gesehen zu werden und es hat wenig Bedeutung wer die Beobachterposition einnimmt, diese Person ist austauschbar. Außenwelt wird nicht ausgeschlossen, jeder kann Überwachungsfunktionen übernehmen. Jedes beliebige Mitglied der Gesellschaft hat das Recht, mit seinen eigenen Augen wahrzunehmen, wie die Schule, die Spitäler, die Fabriken, die Gefängnisse funktionieren. Daher besteht keine Gefahr, dass Macht zur Tyrannei entarten kann.

Die Disziplinaranlage wird demokratisch kontrolliert.

Jedermann kann den Wächter überwachen. So wird das Panoptikum von einer Dunkelkammer zur Ausspähung von Individuen zum Glaspalast, in dem die Ausübung der Macht von der gesamten Gesellschaft durchschaut und kontrolliert werden kann. Das panoptische System breitet sich im Gesellschaftskörper aus, es ist dazu berufen zu einer verallgemeinerten Funktion zu werden. Das Panopticon kann demnach als ein demokratisches Prinzip von Macht, genauer gesagt als eine flächendeckende Verteilung von Macht bezeichnet werden. Denn der Wächter im Zentrum ist nicht der König oder ein Diktator, sondern ein bloßer Funktionsträger, der seinerseits von allen Mitgliedern der Gesellschaft überwacht und ausgetauscht werden kann.

Der Beobachtete internalisiert das Machtverhältnis:

Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selbst aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung.“ (Foucault, 1977, S 260)