Der Begriff Komplexität und die Theorie komplexer adaptiver Systeme sind in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft allgegenwärtig. Es gibt Beispiele in den Wissenschaften Physik, Chemie, Biologie, Ökologie, Informatik, Neurowissenschaften, Medizin, Psychologie, Soziologie, Ökonomie, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsstudien.
Beziehungen, Strukturen und Netzwerke in der Systemwissenschaft werden einerseits mit mathematischen Werkzeugen analysiert, die auf rationalem Denken basieren. Andererseits sind diese komplexen Systeme Ursprung neu entstehender und auf diese Weise neuer Phänomene, die von der laufenden Analyse nicht erwartet werden können. Heinz v. Foerster forderte einen Beobachter zweiter Ordnung auf, sich mit diesen Umständen zu befassen.
Dieser Beobachter zweiter Ordnung ist in der Lage, die Zusammengehörigkeit der Subjekt-Objekt-Beziehung zu bemerken und sich auch mit deren Umsetzung mittels sowohl als auch zu befassen – anstatt die Frage zu stellen, ob man den einen oder anderen Standpunkt bevorzugt. Eine zeitgenössische Antwort auf den Begriff des Mittelwegs von Aristoteles.
Komplexität und der Mittelweg des Aristoteles I
Mesotes, das Maß der Mitte ist ein wesentliches Element bei der Definition menschlicher Tugenden in Aristoteles Nicomachischer Ethik. Die Bestimmung der Mitte wird einerseits mathematisch ermittelt und als numerisch definiertes Gleichgewicht zwischen Überschuss und Mangel angesehen. Das Beispiel ergibt 6 als Ergebnis zwischen 10 und 2. Aristoteles stellt jedoch fest, dass diese mathematisch darstellbare Mitte möglicherweise nicht für jeden Menschen gilt. Daher kann dieses Prinzip nicht rechnerisch auf Einzelpersonen angewendet werden. Was für einen der richtige Wert für die Mitte sein könnte, kann für einen anderen zu viel oder zu wenig sein. [Aristoteles, 1975, II 1106a29 – 1106b5] Diese Darstellungen haben in der Folge zu mehrdeutigen Interpretationen geführt. Die mathematische Definition des Guten stellt sich als unzulässig dar und kann nicht als qualitativ bewertbare Unterscheidung wahrgenommen werden. Daher wird das Prinzip der Mesotes ein zwar mächtiges, aber dunkles und leeres Konzept genannt. [Höffe, 2006, S. 225]
Während man sich mit dem Maß der Mitte zwischen Übermaß und Mangel befasst, könnte man dieses Mitte auch als eine Art Mittelmäßigkeit betrachten. Niemand würde annehmen, dass Aristoteles Mittelmäßigkeit gemeint hat, um den Weg zur Eudaimonia – zu einem guten Lleben – zu finden. Aristoteles Behauptungen verlangen eine ausführliche Diskussion, da eine allgemeine Präsentation die Schlüsselaspekte nicht erfüllen könnte. Daher verweist er bei der Beschreibung und Analyse einzelner Beispiele auf viele Unterschiede, um die Idee von Mesotes zu erklären. [Schilling, 1930, S. 3] Diese Menge an Beschreibungen der Tugend als Mitte bestätigt die Annahme, dass dieses Prinzip überall gilt. [Aristoteles , 1975, IV 1127a15] Aretê – Tugend – für alles Sein ist das Wesen der Verwirklichung und Vollendung. [Schilling, 1930, S. 7]
Diese Betrachtungen lassen vermuten, dass Mesotes einerseits die Mitte entgegengesetzter Positionen ist, andererseits eine Art optimales Ergebnis bestimmt durch gegensätzliche Betrachtungen. Um das geeignete Maß für einen bestimmten Fall zu definieren, ist jede einzelne Situation nach einem bestimmten Prinzip zu analysieren. Sowohl das Prinzip als auch das Maß können als Mesotes bezeichnet werden. Dies erinnert an die gegenwärtige Debatte über den Umgang mit Komplexität und Selbstorganisation.