Sophistik oder Sophisterei: schon Aristoteles bezeichnete diese Art des Philosophierens als Philosophie des Scheins. Im Gegensatz zur ernsthaften Suche nach etwas wie Wahrheit, das man als Weisheit bezeichnen könnte – übrigens bedeutet ja Philosophie soviel wie „Liebe zur Weisheit“ – wird mit Sophisterei eine Art der Argumentation bezeichnet, die sich zum Ziel gesetzt hat, Wahres und Falsches so zu vermengen, dass mittels der Kunst der Sprache schließlich Zustimmung und Anerkennung erreicht wird. Was in der Regel auch mit Macht und ökonomischem Wohlstand einher geht.
Diese Art des Sprachgebrauchs gilt auch – im schlechten Sinn – als spitzfindig, sowie als trügerisch und manipulierend. Als exemplarisches Beispiel mag der Dialog zwischen Sokrates und dem Sophisten Trasymachos gelten, den Platon in seiner Politeia 336a ff. beschrieben hat. In diesem Dialog geht es vordergründig um die Frage nach Gerechtigkeit. Trasymachos behauptet, dass Gerechtigkeit dem Stärkeren zum Vorteil verhelfen solle. Gleichzeitig behauptet er, dass vollkommene Ungerechtigkeit gegenüber vollkommener Gerechtigkeit zu bevorzugen wäre, denn diese Art von Gerechtigkeit wäre nur edle Einfältigkeit. Sokrates ist mit Hilfe seiner Fähigkeit, Dialoge mittels Fragen zu leiten, in der Lage, seine Position dazulegen. Er meint, dass Gerechtigkeit eine Eigenschaft der menschlichen Seele sei und damit die Frage nach der Gesundheit der Seele und einem „Guten Leben“ von der Gerechtigkeit abhängig wäre. Der daraus gezogene Schluss kann nur bedeuten, dass der Gerechte gut leben könne, der Ungerechte aber schlecht – aus diesem Blickwinkel müsse man aus eigenem Interesse für die Gerechtigkeit argumentieren.
Soweit zu Gerechtigkeit. Darum soll es jedoch hier vordergründig nicht gehen – sondern um die Art und Weise, wie Dialoge geführt werden. Der Sophist Trasymachos tritt in dieser Sequenz fordernd und aggresiv auf, ganz in der Position des Stärkeren, der mit seinem Wissen die scheinbare Unwissenheit des Gegenüber vom Tisch wischt. Er vertritt somit eine Position, die Widerspruch herausfordert. Dieser Widerspruch wird als Unsinn und Gewäsch mittels abfälligem Kommentar abgetan. Dieser ablehnende Vorgang wird mit einschüchternden, höhnischen und belehrenden Außerungen kombiniert. Ziel dieser Argumentation ist es nicht, Wahrheit oder eine konsensuale Position zu finden. Es geht ausschließlich darum, den Beifall des Publikums zu finden, rethorisch zu glänzen und überraschende Positionen zu präsentieren. Sophisten sprechen aus der Position des Überlegenen, des Wissenden.
Im Gegensatz dazu ist Sokrates in der Lage, mit seiner Fragetechnik dem Gegenüber zu vermitteln, an diesem Dialog als gleichberechtigter Gesprächspartner teilhaben zu können. Es geht dabei, These und Antithese abzuwägen und erst im Verlauf der Argumentation anhand der Gesprächsführung ein Ergebnis zu finden, das auch die Zustimmung des Gesprächspartners erhält. Sokrates ist sich dessen bewusst, dass er nicht im Besitz einer letztgültigen Wahrheit ist.
Hier schließt sich der Kreis zum Heute. Nach diesen Betrachtungen bleibt gar nichts über, als Aktionen von aktuell amtierenden Politikern als Sophisterei zu bezeichnen. Wir als Bürger vernehmen Reden und Argumente, die unglaublich eindrücklich an die Argumentationweise des Trasymachos erinnern, die andere Meinungen nicht gelten lassen und herablassend abwehren. Wir leben offensichtlich in einer Zeit, in der das gesprochene Wort nur ein Ziel kennt: den Beifall des Publikums. Bestärkung findet dieser Eindruck durch ein Video, das auf Twitter dieses Wochende verbreitet wurde: es zeigt einen der angesprochenen Politiker – unseren Bundeskanzler, wie er während einer TV Aufnahme seine Rede abbricht und wiederholt, damit sie auch die richtige Wirkung zeigt. Wie ein wenig erfahrender Schauspieler – nur auf die Wirkung bedacht, ohne die vermittelte Position authentisch vertreten zu können. Hört man die eingelernten Floskeln anderer Regierungsmitglieder, so scheint der Gedanke an ein schlechtes Schauspiel wirklich nicht abwegig zu sein. Wie schon im Beitrag zur 75. Jahr Feier der 2. Republik bemerkt, wäre es auch keine Schande “Nicht zu wissen” – wie Platon schon in der Apologie des Sokrates diesen sagen lässt:
Wahrscheinlich weiß ja keiner von uns beiden etwas Rechtes; aber dieser glaubt, etwas zu wissen, obwohl er es nicht weiß; ich dagegen weiß zwar auch nichts, glaube aber auch nicht, etwas zu wissen …