Nachdem der Grund für die Frage nach dem unaufhaltsamen Aufstieg der Suchmaschine Google.com geklärt schien (siehe voriger Beitrag Suchen, Daten, Daten Suchen), stellten sich viele die Frage, warum die bis 1998 meist genutzten Dienste mit Kenntnis dieser Gründe nicht wieder zumindest einen Teil des verlorenen Terrains gut machen konnten.
Dafür gibt es mehrere Erklärungen:

  1. eine systemisch bedingte Unfähigkeit, schnell die eigenen Strukturen anzupassen.
  2. eine netzwerktheoretisch begründbare laufende Stärkung der bereits starken Knoten.
  3. eine sicherheitspolitische Begründung nach dem Attentat vom 11. September 2001.

zu 1 – Die bis zum Auftreten von Google meist genutzten internationalen Suchmaschinen wie AltaVista, Yahoo, MSN, eventuell noch Lycos reagierten auf den Markteintritt von Google scheinbar nicht. Diese Art von Paralyse war scheinbar der eigenen Struktur geschuldet. Obwohl man annehmen kann, dass genügend finanzielle Mittel zu Verfügung gestanden wären, waren das weder Management noch Entwicklungsabteilungen in der Lage, die Suchalgorithmen zu optimieren, so dass ähnlich gute Suchergebnisse präsentiert werden konnten. Als zweiter Aspekt, der die Akzeptanz des Newcomers Google bei der Community wesentlich beeinflusste, ist mit großer Sicherheit die zu Beginn bewusst zur Schau gestellte Werbefreiheit des neuen Mitbewerbers zu sehen.
Die deutschsprachigen Suchmaschinen wie Fireball, Austronaut, Metager verfügten schon gar nicht über die finanziellen Mittel und auch nicht über die technischen Möglichkeiten, dem aufkommenden Suchgiganten etwas entgegen zu setzen. Der Marktentritt von Google veränderte somit die Bedingungen für Suchmaschinen maßgeblich. Solch eine Situation kann als Eigenschaft gesehen werden, die in der Systemtheorie als strukturelle Determination bezeichnet wird. Für die bis dahin im Markt tätigen Suchmaschinen bedeutete dies, dass nur das Überleben mittels Änderung der Strategie möglich war, nämlich Nischen im Markt zu suchen, die nicht direkt mit Google in Konkurrenz traten.

zu 2 – In der Netzwerktheorie gibt es bezüglich der Entwicklung von sogenannten skalenfreien Netzen – das sind Netzwerkstrukturen, wie sie auch in sozialem, gesellschaftlichem Umfeld zu finden sind – die Beobachtungen, dass sich neue Knoten (Elemente – technisch: Betreiber/Nutzer von Servern/Computern) in Netzwerken an den bis dahin bekannten Knoten orientieren, von denen diese neuen Knoten den für sie besten Input – die Bestimmung der Wertigkeit hängt von der Art und Weise des Netzwerks ab – erwarten können. Im Falle einer Suchmaschine liegt damit der Erfolg für den Suchdienst in der bestmöglichen Erfüllung der Erwartung der NutzerInnen, verbunden mit dem geringsten Aufwand. So kommt es zu einem Effekt, den der Soziologe Robert K. Merton als Matthäus Effekt in Anspielung an das Matthäus Evangelium 25,29 (Wer hat, dem wird gegeben…) bezeichnet hat. Die bedeutet, das die meist genutzen Knoten in einem Netzwerk immer mehr genutzt werden. Die ohnehin schon Erfolgreichen werden somit immer erfolgreicher. Dies führt zu einer exponentiellen Entwicklung (exponetiell = skalenfrei – weil es auf einer üblichen Skala nicht dargestellt werden kann).

zu 3 – In ihrem Buch, „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ beschreibt Shoshana Zuboff, emeritierte Harvard Business School Professorin mit Studium der Philosophie an der University of Chicago, wie die Behörden in den USA auf die Anschläge vom 11.9.2001 auf das World Trade Center in New York reagierten. Die Tatsache, dass dieser Terroranschlag nicht verhindert werden konnte, verstärkte die Intentionen, Sicherheit vor Terror vor alle Aspekte des Datenschutzes und der Privatsphäre zu stellen. Das Sammeln von Daten und den daraus möglichen Erkenntnissen bezüglich Schutz vor Terror wurde auch bei CIA und NSA zu einer Notwendigkeit. Das Rad musste allerdings nicht neu erfunden werden, denn man erinnerte sich, dass es ja ein Unternehmen gab, das sowohl über jede Menge an Daten als auch über die notwendige Technologie zur Auswertung verfügte: Google.

Die Wahlverwandtschaft zwischen staatlichen Nachrichtendiensten und dem kaum flüggen Überwachungskapitalisten Google blühte auf unter der Hitze des nationalen Nostands und sorgte für eine historisce Deformität: den Überwachungskapitalismus.

S. 139 ff. Zuboff, Shoshana „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“, Campus Verlag,, Frankfurt/New York , 2018

Womit die Tatsache der Kooperation der us-amerikanischen Geheimdienste die systemtheoretisch bedingte strukturelle Determination – Punkt 1 – und die bevorzugte Nutzung und damit die ins Exponentielle gehende Stärkung der Hubs (= dominante Knoten) nochmals bestätigt.