Die Disziplinargesellschaft formiert sich von den geschlossenen Disziplinen zum endlos verallgemeinerungsfähigen Mechanismus des Panoptismus. Mit diesem Prinzip kann man Disziplinen aktivieren und in einem gesamten Gesellschaftskörper zur Wirkung bringen. Die so verallgemeinerte Kontrolle durch die Tatsache andauernder Sichtbarkeit verstärkt die Wirkungen der trainierten Normen und Disziplinen in allen Bereichen der Gesellschaft, ob in Familien, Schulen, Fabriken, Spitälern . . .
Auf jeden Fall ist dieser Mechanismus imstande, das elementare Funktionieren von Disziplinarmechanismen programmartig umzusetzen und zu garantieren. Die Gesellschaft wird davon vollständig durchsetzt. (Foucault, 1977, S 268) Wir halten selbst das Räderwerk der panoptischen Maschine in Gang – jeder ist ein Rädchen. (Foucault, 1977, S 279)
Wirkung des Panoptismus
Vor dem Prinzip des Panoptismus und der verallgemeinerten Disziplin gibt es kein Entrinnen. Schließlich wirkt die Disziplinierung verstärkend und steigernd, in der Produktion, im Bildungssystem, der öffentlichen Moral, trägt zu Wachstum bei. Im Gegensatz zur durchorganisierten Pestgesellschaft ist das Panopticon „…als ein verallgemeinerungsfähiges Funktionsmodell zu verstehen, das die Beziehungen der Macht zum Alltagsleben der Menschen definiert. Zwar wird es von Bentham als eine besondere in sich geschlossene Institution präsentiert, weshalb man auch oft eine Utopie der perfekten Einsperrung daraus gemacht hat….(…) es ist das Diagramm eines auf seine ideale Form reduzierten Machtmechanismus; … tatsächlich ist es eine Gestalt politischer Technologie, die man von ihrer spezifischen Verwendung ablösen kann und muß„. (Foucault, 1977, S 263)
Durch das Anwachsen der Bevölkerung muss die wirtschaftlich notwendige Produktion gesteigert werden. Dies erfordert, dass straffe Hierarchien die Vielfältigkeit steigern und aus den verfügbaren Körpern das Maximum an Zeit und Kräften herausholen. Eine Anhäufung von Menschen ohne Anwachsen eines notwendigen Produktionsapparates, der nicht in der Lage gewesen wäre, diese Menschen sowohl zu erhalten als auch nutzbar zu machen, wäre anders nicht zu lösen gewesen.
Der Panoptismus bedeutet die Veränderung und Verwirklichung internalisierter Prozesse:
Statt ursprünglicher Bannung von Gefahren steht jetzt die Nützlichkeit von Individuen, die Steigerung der Kräfte im Fokus. Die so angestrebte Arbeitsdisziplin soll Erträge erhöhen. Disziplinen als Techniken welche nutzbringende Individuen fabrizieren. Das panoptische System gewährleistet somit den rationellen Einsatz von Material, Personal und Zeit. Somit ist es ein ökonomisches Modell.
Bei näherer Betrachtung führt die Architektur des benthamschen Panopticons gründlich in die Irre. Der zentrale Beobachtungsturm mit dem Beobachter suggeriert den konzentrierten Machttyp des Souveräns. Versteht man allerdings den Panoptismus als Maschine mit einem komplizierten Räderwerk, treten die tatsächlichen Zusammenhänge in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit deutlicher hervor. Der zentrale Beobachter ist kein Souverän, sondern er nimmt eine Aufgabe in der Maschine wahr, die wiederum nur zu erfüllen ist, wenn alle von der möglichen Existenz dieses Beobachters Kenntnis haben.
Die Macht, der Beobachter wird vollkommen anonymisiert, der Sitz des Beobachters kann auch leer sein. Benthams Architektur ist ein Prototyp für die Machtwirkung, die sich durch die Möglichkeit ununterbrochener Beobachtung erzielen lässt. Die Maschinenteile greifen im Bewusstsein der ständigen Kontrollierbarkeit ineinander und ergänzen sich zur Erfüllung der gestellten Aufgabe, indem sie eine zusätzliche Selbstkontrolle ausüben, die sich aus der Tatsache der ständig realisierbaren Beobachtungsmöglichkeit ableitet. Die Disziplin steigt durch den Panoptismus zu einer Technologie auf. Eine Entwicklung, die den gestiegenen Anforderungen im produktiven Sektor Ende des 18. Jahrhunderts entspricht.