Die digitale Kluft ist seit der zunehmenden Nutzung von Computern und der damit verbundenen Möglichkeit, frei zu kommunizieren und Informationen zu erhalten, ein Thema. In den 1980er Jahren war der Zugang zu dem aufkommenden neuen Medium einigen wenigen Insidern vorbehalten, die in der Lage waren, endlose Codes einzugeben, um bestimmte Anwendungen auf den damals verfügbaren Geräten zu starten. Das Herstellen einer Netzverbindung über ein Modem erforderte Fachwissen und viel Aufwand. Grafische Oberflächen mit Menüführung waren damals im technischen Bereich noch in weiter Ferne. Dies änderte sich mit der Einführung des World Wide Web erheblich (Dijk, 2005, 97).
Mit der Vereinfachung des zuvor sehr komplizierten Zugangs zu den verschiedenen Netzdiensten war es auch für technische Laien möglich, Zugang zu erhalten. Was zuvor eine meist technische Hürde war, wurde so zu einer mehr oder weniger gesellschaftlich bedingten Hürde. So wurde diese Art der Ausgrenzung erst zum Thema, denn zuvor war die Nutzung von Netzdiensten eine Tätigkeit, die nur wenigen Spezialisten vorbehalten war.
Mit der Erschließung der Netzwelt mittels Browsern und Links – das World Wide Web geht auf die Arbeiten des britischen Wissenschaftlers Tim Berners Lee am CERN im Jahr 1989 zurück – begann das WWW zu einem Massenphänomen zu werden. Wenn auch anfangs sehr langsam, so zeigte die Entwicklung der Nutzungshäufigkeit des WWW nach einer fast linearen Steigerungsrate in den ersten Jahren ab etwa 1996 eine exponentielle Wachstumskurve, sowohl im Unternehmens- als auch im Privatbereich.
Der Zugang zum Internet, die Möglichkeiten, Informationen zu erhalten, ggf. auch bereitzustellen, zu kommunizieren und an einem Diskurs teilzunehmen, wurde damit zu einem wichtigen Gut im Sinne der Interpretation Max Webers, der festgestellt hatte: “Nicht nur materielle Güter gehören zum ‘Vermögen’. Sondern vielmehr: alle Möglichkeiten … “57(Weber, 2017). So wurden all jene, denen dieses Vermögen nicht zugestanden wurde, die zu arm oder zu alt waren, um an dem neuen Medium teilzuhaben, zu Opfern des Digital Divide.
Diese Interpretation des Digital Divide ist im gesellschaftspolitischen Kontext nach wie vor ein Thema, wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß wie vor zwanzig Jahren, aber spürbar zum Beispiel in der Diskussion um den Breitbandausbau für eine möglichst schnelle Netzanbindung und in der Betonung der Bedeutung von Notebooks oder Tablets in Schulen.
Betrachtet man die Entwicklung der KI, so drängt sich der Gedanke auf, dass die KI eine größere “digitale Kluft” darstellt als die Ungleichheiten bei der Nutzung von Netzdiensten und sozialen Medien der letzten Jahrzehnte – und diese Kluft wächst viel schneller als frühere soziale Ungleichheiten und Unterschiede – vielleicht eines der wichtigsten Themen, die für eine künftige, sozial gerechte Gesellschaft diskutiert werden sollten.