Michel Foucaults Überwachen und Strafen wird trotz der radikal veränderten gesellschaftlichen Bedingungen noch immer als das meist rezipierte Werk zur Beschreibung von Überwachungstechniken herangezogen. Die technischen Möglichkeiten haben sich nachweislich verändert, jedoch waren auch Gesellschaften und Ökonomie grundlegenden Wandlungen unterworfen.

Mit der globalen Orientierung von Ökonomie und der Steigerung menschlichen Mobilitätsverhaltens sind die bei Foucault maßgeblich verantwortlichen Disziplinierungsnormen heute anders gestaltet, als dies vor fast 50 Jahren der Fall war.(Michel Foucault hatte sein Werk 1975 erstmals veröffentlicht)

Ist bei Foucault die seinerzeit maßgebliche Ordnungsmacht eine gesellschaftlich bestimmte Institution, welche Normen und damit Maßnahmen zur Disziplinierung bestimmt, anwendet und exekutiert, so hat sich die Wahrnehmung von Normen und Werten heute erheblich gewandelt.

Mit zunehmender gesellschaftlicher Komplexität begann ein Prozess, der von einer surveillant assemblage spricht. Mit verstärkter Veränderung von Gesellschaft und Individuum kann somit Überwachung nicht in fix vorgegebenen institutionellen Kontexten bestehen, sondern wird selbst zu einem Prozess, der laufenden Adaptionen unterliegt und dabei unablässig vorhandene Objekte und aus den Relationen dieser Objekte ableitbare Information neu kombiniert. (Kammerer, 2016, S 189)

Nicht geändert hat sich offensichtlich die Intention der Überwachung, nämlich eine Optimierung der Effizienz vorhandener und stetig wachsender Möglichkeiten der Kombination von beobachtbaren Objekten und der dazu notwendigen Mittel. Mit der Digitalisierung hat sich das Instrumentarium zur Bewältigung dieser Aufgaben um essenzielle Aspekte der Steuerung, der Kybernetik erweitert. Auch die Position der Beobachteten hat sich kaum verändert, auch wenn die Mittel der Beobachtung sich von dem Bild des Panopticons als eine überschaubare architektonische Einrichtung weit entfernt haben. Die Beobachteten bleiben Objekte, deren Handlungen sich an den Möglichkeiten – in der digitalen Version an den Vorgaben von Algorithmen – orientieren. Auch, wenn die verwendeten Geräte wie Smartphone und Computer in gewisser Weise eine Art von subjektiver Kommunikation vermitteln. (Lanier, 2014)

Ein gravierender Unterschied zur Beschreibung der Disziplinierung, wie Foucault sie gesehen hat, ist allerdings bei der Interpretation der Möglichkeiten zur demokratischen Kontrolle zu sehen. Denn diese Kontrolle ist durch die Digitalisierung unter dem Aspekt des Digital Divide zu betrachten, der es nicht beliebigen Mitgliedern der Gesellschaft ermöglicht, den – oder besser gesagt, die – Wächter zu überwachen. Die Disziplinaranlage in der globalen, digitalisierten Welt ist offensichtlich nicht länger demokratisch kontrollierbar – eine Wahrnehmung, die auch bereits artikuliert wurde und in dem Begriff des Überwachungskapitalismus (Zuboff, 2018) Ausdruck findet.