Die Veränderung der Gesellschaft durch die Digitalisierung hat einen Diskurs über Ethik und ethisch bedingtes Handeln im Zusammenhang mit digitalem Wandel, künstlicher Intelligenz und Machine Learning, aufkommen lassen. Ethik wird im allgemeinen Sprachgebrauch gerne synonym mit dem Begriff der Moral verwendet. Ein Blick auf die eigentliche Bedeutung zeigt, dass Ethik sich als Wissenschaft mit den Bedingungen und der Bewertung von sittlich begründbarem Handeln von Menschen auseinandersetzt. Dies verlangt zwar ausgiebige Reflexion von moralischem Handeln, ist jedoch keineswegs mit der Bedeutung von Moral gleichzusetzen.
Schon in der griechischen Antike wurde Ethik als Charakter oder sittliche Gesinnung verstanden und üblichen Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen gegenüber gestellt. So gelten die griechischen Philosophen Sokrates und Aristoteles als Begründer der Ethik als philosophische Disziplin.
Moral – vom lat. mos / mores – entspricht den Begriffen „Sitte, Gewohnheit, Brauch“ und stellt sich als gesellschaftlich geprägte Verhaltensnorm dar. Sitte / Moral ist somit vom gesellschaftlichen Kontext abhängig und kann damit in unterschiedlich geprägten Gesellschaften andere sittliche Normen hervorbringen – unterschiedliche sittliche Normen von Gruppen führen so zu unterschiedlichen „Moralen“ . Dies führt zu moralisch bedingten Dogmen und damit zu einer Art „erhobenem Zeigefinger“.
Der Begriff der sittlichen Normen von Gruppen verlangt eine Definition der Zusammengehörigkeit. Sprachen könnten dafür herangezogen werden. Ein Blick auf die Anzahl von lebenden Sprachen wieder vermittelt ein ausgeprochen komplexes Bild. Auf der Welt werden zur Zeit ca. 5.600 Sprachen gesprochen, die Vielfältigkeit wird durch unterschiedliche Dialekte noch gesteigert. Es scheint plausibel, dass mit jeder Sprache auch unterschiedliche Sitten und Gebräuche verbunden sind – dies führt zu unterschiedlichen moralischen Anforderungen. Zieht man dazu noch andere Gruppenspezifika in Betracht, so kann man mit Fug und Recht davon ausgehen, dass auch die Mafia ihre eigene Moral hat.
Ethik untersucht im Gegensatz dazu gleichsam die „Bedingung der Möglichkeit“ unterschiedlicher moralischer Normen und versucht, allgemein gültige Aussagen für gutes und schlechtes Handeln zu finden, die als Prinzip auf alle zwischenmendlichen Aktionen anzuwenden sind. Ethik ist somit als reflexive (wissenschaftlich beobachtende) Betrachtung moralischer Regeln zu verstehen und stellt die Frage nach dem richtigen Handeln („an sich“).
Eine kurze Betrachtung zweier solcher Prinzipien von berühmten Philosophen soll dies verdeutlichen.
Immanuel Kant hat mit seinen Gedanken die Zeit der Aufklärung maßgeblich beeinflusst – seine Formulierungen des sogenannten „Kategorischen Imperativs“ definieren ein grundlegendes Prinzip der Ethik und gelten für alle Wesen, denen Vernunft zugesprochen wird.
Jeder Mensch sollte demnach seine Handlungen daraufhin untersuchen und beurteilen, ob sie immer und ausnahmslos diesem Prinzip folgen würden. Die so genannte Zweckformulierung dieses Prinzips lautet: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“
Die damit aufgestellte Forderung, Menschen niemals als Mittel zum Zweck zu benutzen, werden wir in der Folge gemeinsam mit der „unsichtbaren Hand“ von Adam Smith, einem schottischen Moralphilosophen, der sich auch intensiv der Nationalökonomie widmete, betrachten.
Die von Adam Smith formulierten Prinzipien der Ökonomie veranlassen wohl auch, dass seine „unsichtbare Hand“ von liberal denkenden Ökonomen ins Treffen geführt wird, sobald es um Automatismen des Marktes geht. Die Idee des Sozialethikers Smith findet sich mehrmals in seinen Schriften im Zusammenhang mit ökonomischen Überlegungen – einerseits in Bereich der Mikroökonomie – Theorie der ethischen Gefühle – ein zweites Mal in makroökonomischem Kontext mit der Beschreibung mikroökonomischer Effekte – er bezieht sich dabei auf die ethisch bewertbaren Auswirkungen dieser ökonomisch bedingten Handlungen. Dabei sollen die Handlungen von am eigenen Wohl orientierten Personen durch eine gleichsam nicht erklärbare Selbstregulierung auch dem Wohle der Allgemeinheit zuträglich sein.
Die Gedanken und Formulierungen von Kant und Smith wurden naturgemäß kritischen Betrachtungen unterzogen, zum Teil als nicht praktikabel oder auch als logisch nicht konsequent dargestellt. Auf diese Kritik hier im Detail einzugehen, würde den Rahmen sprengen.Trotzdem sind diese beiden Prinzipien heute noch präsent und gemeinsam mit anderen Formulierungen zu Grundlagen unseres Verständnisses von Gesellschaft geworden. Diese Prinzipien werden durch Verfassungen und Gesetze so gut wie möglich garantiert und stellen somit die Basis für das Vertrauen von Menschen in ihre Lebensumgebung dar.
Nimmt man diese Grundsätze als Maßstäbe für ethisches Handeln, so stellen sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft auch folgende Fragen:
Wird der Imperativ von Immanuel Kant hintergangen?
Das exzessive Sammeln von Daten – die statistische, auf Algorithmen basierende Auswertung und die damit einhergehende Klassifizierung der Benutzer von Smarten Devices, werden damit Menschen (Personen) zum Mittel für bestimmte Zwecke?
Die „unsichtbare Hand“ wieder funktioniert im mikroökonomischen Kontext – das lässt sich an Beispielen darstellen. Ist es jedoch vorstellbar, dass diese Metapher auch in einem globalen Kontext gültig sein könnte?
Dazu kommt noch, dass es heute kaum einen Menschen auf dieser Welt gibt, der ausschließlich einer Gruppe – einem System – mit einheitlichen Moralvorstellungen angehört. Jede/r von uns ist gleichzeitig in unterschiedlich orientierten Gruppen – sowohl im realen Leben, als auch in ihrem/seinem globalen digitialen Dasein – im Cyberspace.
„Cyberspace“ bedeutet nichts anderes als Raum der Kybernetik. Dieser entstammt der im 20. Jahrhundert entwickelten Systemtheorie und kommt von dem griechischen Wort „kybernetes“, dem Steuermann. Ein System, wie der Cyberspace eines darstellt, steht einerseits in einem Verhältnis zu seiner Umwelt, andererseits sind die Elemente innerhalb des Systems, die Relationen der Elemente und die aus diesen Relationen ableitbaren Strukturen für das Verhalten und den Zustand des Systems maßgeblich verantwortlich. Die Gestaltung dieser Strukturen eines Systems lässt sich mittels der Netzwerktheorie gut beschreiben.
Jede/jeder von uns besitzt mehrere Geräte (Smartphone, Tablets, Notebooks …), die als Knoten in diesem Cyberspace dargestellt werden können. Diese Knoten nehmen mit jeder Verbindung zu anderen Diensten wie Suchmaschinen, Webseiten, Social Media Anwendungen, Zeitungen, Spiele …. etc – die Liste ließe sich unendlich lange fortführen – auf. Diese in Anspruch genommenen Dienste selbst sind auch Knoten in diesem Netzwerk. Die Verbindungen einzelner Geräte übermitteln mit jeder Anfrage Daten, sonst könnten keine Informationen zurückgesandt werden. Es entstehen damit Relationen zwischen unterschiedlichen Knoten, die Auswirkungen auf die Gestalltung des Netzwerks haben. Diesen einzelnen Knoten und Relationen werden dabei Wertigkeiten zugeschrieben, die mit der Häufigkeit der Nutzung und den dabei zur Verfügung gestellten Daten korrelieren. Aus diesen einzelnen Werten ergeben sich berechenbare Verhältnisse, mittels derer das Netzwerk darstellbar wird.
In dieser globalen, digitalisierten Gesellschaft wird so Information zum zentralen Steuerungsinstrument. Information – „in Form“ gebrachte (gewissen Regeln folgende) Sichtweisen – folgen einem definierten Ziel und dabei einer
„Ökonomie der Aufmerksamkeit“
Franck, Georg. Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München: Carl Hanser 1998